Jenseits des Mondes
ist der Krieg. Der sechste und letzte ist Semjaza. Ihm obliegt das siebte Siegel, die Erschaffung eines neuen Herrschers, da er der Anführer der Zweihundert war, als sie seinerzeit auf die Erde kamen.«
»Wenn Gott ihnen das Wissen mitgegeben hat, warum sorgt Er dann nicht selbst dafür, dass sie die Siegel nicht öffnen?« Das schien in meinen Augen die naheliegendste Lösung zu sein.
Rafe lächelte. »Das entspricht nicht Seinem Plan, Ellspeth. Dies ist ein Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Licht und Dunkelheit – und Er will, dass der Auserwählte – und mit ihm der freie Wille – siegt. Zu welchem Ende auch immer.«
Das brachte den Fluss meiner Fragen zum Versiegen – aber nur kurz. Wenn ich der Rolle, für die ich ausersehen war, auch nur ansatzweise gerecht werden sollte, brauchte ich mehr Informationen. Falls es – nach Gottes Plan – wirklich auf eine Schlacht zwischen mir und einem Haufen gefallener Engel hinauslaufen sollte, musste ich mir jeden nur erdenklichen Vorteil verschaffen. Ich wollte, dass das Licht des Guten siegte. Was ein Sieg der Dunkelheit bedeutete, hatten mir allzu deutlich die widerwärtigen Bilder vor Augen geführt, die ich in Ezekiels Seele gesehen hatte.
Ich holte tief Luft und legte wieder los. »Und was ist, wenn eins der Siegel nicht geöffnet wird, weil wir vorher den Engel töten, der dafür zuständig ist? Stoppen wir damit den ganzen Ablauf? Haben wir dann gewonnen?«
»Jeder Gefallene, den ihr tötet, bedeutet eine Menschheitskatastrophe weniger. Indem ihr auch nur einen Gefallenen tötet, verringert ihr die Zerstörung der Erde und das Leid, das mit ihr einhergeht. Aber auch wenn ein einzelnes Siegel nicht geöffnet wird, bleibt dadurch das Rad der Zeit nicht stehen. Um das Ende abzuwenden, müsst ihr den Gefallenen töten, dem das Öffnen des siebten Siegels obliegt.«
»Den, der einen neuen Herrscher hervorbringt.«
»Genau. Semjaza wird einen Anführer heranziehen, der über die Erde herrschen soll, nachdem die vorangegangenen Katastrophen ihr Angesicht von Grund auf verändert haben.«
»Und wer soll dieser Herrscher sein? Hast du eine Ahnung?«
Bei der Frage musste Raphael lachen, richtig laut, so wie der menschliche Rafe. »So viele Fragen, Ellspeth, und so wenig Zeit. Wir werden noch dazu kommen, sie alle zu beantworten. Aber nicht jetzt.«
»Eins wenigstens noch. Hatte Ruth recht mit ihrer Prognose? Dass dieser riesige Vulkan in der Nähe von Grönland ausbricht und durch eine Kettenreaktion gleich zwei der Siegel öffnet?«
»Ja, damit hatte sie recht.«
»Und wie finden wir den Gefallenen, der dafür verantwortlich ist?«
Rafes Lächeln veränderte sich. Es war nicht länger das warmherzige, leicht verschmitzte Lächeln von Rafe, dem Menschen, sondern ein trauriges, uraltes Lächeln, das nur zu Raphael, dem Engel, gehören konnte. »Ellspeth, ihr müsst diesen Gefallenen nicht mehr finden. Er hat dich bereits gefunden. Den Gefallenen ist zu Ohren gekommen, dass der Auserwählte erschienen ist, und sie haben sich einer nach dem anderen auf die Suche nach dir gemacht.«
Der Groschen fiel in Zeitlupe, aber er fiel. »O nein, Kael! Der, der mir heute Abend aufgelauert hat. Er ist verantwortlich für den Vulkanausbruch!«
»Ja. Ich habe ihn eben erwähnt. Er ist derjenige, der das zweite und dritte Siegel öffnen kann – Seuchen und Hungersnöte, die auf den Vulkanausbruch folgen werden.«
Seuchen und Hungersnot. Und Kael hatte mir noch gesagt, dass er genau dagegen ankämpfen wollte. Wie dämlich konnte man sein?
Doch es dauerte noch eine weitere Sekunde, bis ich das ganze Ausmaß meiner Dummheit begriff. »Ich hätte ihn töten können und habe es nicht getan! Ich habe es vermasselt!«
»Du hättest Kael nicht töten können. Du weißt noch gar nicht, wie.«
»Und du konntest ihn auch nicht töten?«
»Nein, ich konnte nur dafür sorgen, dass er dir nicht mehr zu nahe kommt.«
Ich wollte gerade eine neue Lawine von Fragen dazu loslassen, wie genau man denn nun die Gefallenen zur Strecke brachte –, als Michael sich endlich auch mal zu Wort meldete.
»Wovon redet ihr eigentlich? Wer ist Kael? Was war heute Abend? Wer hat dir aufgelauert?«
Ich drehte mich überrascht um. Ich war so sehr mit Rafes Erklärungen beschäftigt gewesen, dass ich Michael ganz vergessen hatte. Na ja, wenigstens lag ihm noch genug an mir, dass er sich bequemte nachzufragen, als er hörte, dass ich überfallen worden war.
Bevor ich jedoch zu einer Erklärung
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