Jenseits des Mondes
schon mal hier gewesen, mit meinen Eltern. Die Engel und die Wolken und die anderen Wesen dazwischen waren nicht echt. Es waren kunstvolle Gemälde – Meisterwerke –, und sie bedeckten jede Oberfläche des Raumes, der aussah wie das Innere einer Schatztruhe.
Plötzlich machte es klick. Wir waren in der Sixtinischen Kapelle.
»Wo zum Geier sind wir?«, wollte Michael wissen.
»Kommt es dir nicht bekannt vor?«, fragte Rafe.
Michael ließ meine Hand los und begann, im Raum umherzugehen. »Sieht so aus, als wären wir mitten in einem Kunstbuch gelandet.«
»Damit liegst du gar nicht so falsch. Wir sind in Rom, im Vatikan. Dies ist die –«
»Sixtinische Kapelle.« Michael hatte es ebenfalls begriffen. »Wow. Du hast uns hierhertransportiert, nur indem du deine Energie gebündelt hast?«
»Ja.«
»Und kannst du uns zeigen, wie das funktioniert?« Im Gegensatz zu mir schien der Ort Michael keinerlei Ehrfurcht einzuflößen. Er schien sich nicht mal dafür zu interessieren, weshalb Rafe mit uns ausgerechnet hierhergekommen war. Ihm ging es einzig und allein um die Fähigkeit der Projektion an sich.
»Ich zeige es euch auf dem Rückweg nach Tillinghast.«
Michael war es vielleicht egal, aber ich wollte unbedingt wissen, wieso Rafe sich diesen Ort ausgesucht hatte. Er tat nichts ohne Grund. »Warum sind wir hier, Rafe?«, fragte ich also.
»In der Sixtinischen Kapelle?«
»Ja.«
»Reicht es denn nicht, dass dies einer der heiligsten Orte auf der ganzen Welt ist, berühmt für seine Architektur und die Fresken des großen Michelangelo?«
»Wenn du ein Fremdenführer oder Kunstliebhaber wärst, dann vielleicht.«
Er lachte. Es war ein sehr menschliches Lachen. »Du kennst mich gut, Ellspeth. Ich hatte meine Gründe.«
»Da die Zeit ja nun ein bisschen knapp wird – glaubst du, dass du sie uns verraten könntest?« Ausnahmsweise war es mir egal, ob ich patzig klang. Die Zeit war reif, ich wollte Klartext.
Rafe führte uns in die Mitte der Kapelle. Er lenkte unseren Blick hinauf zur Decke und zeigte auf die berühmte Darstellung von Gott, der durch eine Berührung seiner Hand Adam erschafft. Wir schwangen uns in die Luft, um uns das Bild aus der Nähe anzusehen. Es war so eindrucksvoll, so echt, dass ich fast den Funken Leben spüren konnte, der von Gott auf Adam überging.
»Dies ist der Gott, den ich kenne. Ein liebender Gott. Ein Gott, der rasch verurteilt, aber genauso rasch vergibt. Ein Gott, der jedem eine zweite Chance gewährt. Dies ist die Macht, die in euch beiden steckt, und dies ist die Macht, von der das Ende der Zeit beherrscht werden sollte.«
Rafe nahm Michael und mich fest an den Händen und flog mit uns ein Stückchen tiefer. In einer Ecke des riesigen Raumes befand sich ein Altar, der von einem eisernen Gitter umschlossen war. Wir flogen über das Gitter, um das riesige Fresko dahinter besser betrachten zu können.
»Das hier ist Michelangelos Meisterwerk, Das Jüngste Gericht . Ich glaube, es ist die zutreffendste Darstellung der letzten Tage, die Menschenhand je geschaffen hat. Es zeigt, wie die Seelen der Menschen auferstehen und ihrem Schicksal entgegenschweben – der Erlösung oder der Verdammnis, so, wie es vom Auserwählten, der hier als Christus dargestellt ist, bestimmt wurde.«
Er zog uns noch etwas näher an das Gemälde heran. »Aber darüber hinaus enthält das Bild noch eine weitere Botschaft. Michelangelo hat in seinem Jüngsten Gericht eine Nachricht versteckt – für dich, Ellspeth.«
Ich schüttelte ungläubig den Kopf. »Michelangelo hat für mich eine geheime Botschaft in seinem Bild versteckt? Vor ein paar hundert Jahren? Jetzt mal ehrlich, Rafe.«
» Das Jüngste Gericht ist von Visionen inspiriert, die Gott Michelangelo gesandt hat und von denen er wollte, dass der Auserwählte sie sieht, wenn die Zeit gekommen ist. Du bist die Auserwählte, und die Zeit ist gekommen. Ja, Ellspeth, so unfassbar es sich auch anhört, Michelangelo hat in seinem Jüngsten Gericht eine Botschaft für dich verborgen.«
Ich erschauerte. Irgendwie wurde meine Aufgabe dadurch, dass der legendäre Michelangelo extra für mich ein Bild gemalt hatte – noch dazu eins mit einer verschlüsselten Botschaft darin –, erst richtig real.
»Und wie lautet die Botschaft?«
»Die Botschaft ist für dich bestimmt, Ellspeth, nicht für mich. Nur die Auserwählte kann sie entschlüsseln. Warum schaust du nicht, ob du sie enträtseln kannst?«
»Ich bin doch kein Kunsthistoriker.«
»Ich
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