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Jenseits des Mondes

Jenseits des Mondes

Titel: Jenseits des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heather Terrell
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nachließ. Das gab mir genug Gelegenheit, eine Mauer um meine Gedanken herum zu errichten. Jetzt war ich gegen Rafe geschützt und konnte geradewegs in Michaels Arme stürzen.
    Er fing mich auf und starrte mich aus seinen hellen grünen Augen an. Ganz spontan teilten wir ein Lächeln, als wäre nichts gewesen – nicht sein Verrat mit Ezekiel, nicht die schrecklichen Ereignisse in Boston, nicht die Auseinandersetzungen und Missverständnisse nach unserer Rückkehr, nicht die bleierne Last unserer Bestimmung. Wir lächelten uns an wie an dem Tag, als wir uns zum ersten Mal auf dem Flur der Tillinghast High begegnet waren. Als wir Ellie und Michael gewesen waren und mehr nicht. Es waren solche Momente, die mir klarmachten, wie viel wir einander bedeuteten.
    Dann kam Rafe hinzu.
    »Ich glaube, den Trick müssen wir kein zweites Mal üben, Ellspeth. Du beherrschst ihn perfekt.«
    »Trick?«, fragte Michael. Er sah mich an, verwirrt und geknickt.
    »Ellspeth hat bewiesen, dass sie sich gegen die gewaltigen Kräfte der Gefallenen zur Wehr setzen kann. Im Geiste zumindest.«
    Michael hatte gedacht, ich wäre zu ihm gekommen, weil ich Sehnsucht nach ihm hatte. Der Griff seiner Arme ließ jäh nach, und ich stürzte ab. Rafes starke Hand packte mich, bevor ich ins Trudeln geriet und die Kontrolle verlor.
    »Ich glaube, ihr seid bereit«, verkündete er, sobald ich mich wieder gefangen und mein Atem sich etwas beruhigt hatte.
    »Bereit, wofür?«, fragte Michael mit knurriger Stimme.
    »Bereit, eine Kunst zu erlernen, die nur wenige Engel beherrschen.«
    »Ich dachte, das machen wir die ganze Zeit. Wir lernen, wie man die Gefallenen fertigmacht.«
    Rafe ging nicht auf seine Bemerkung ein. »Ich werde euch lehren, eure inneren Energien zu bündeln, so dass ihr weite Strecken innerhalb eines bloßen Augenblicks zurücklegen könnt.«
    »Wie macht man das?«, wollte Michael wissen, den die Aussicht auf eine weitere übersinnliche Fähigkeit in seinem Arsenal sichtlich begeisterte.
    »Zunächst schließt ihr die Augen. Stellt euch euer Ziel vor. Nicht nur, wie es aussieht, sondern auch, wie es dort riecht, welche Geräusche dort zu hören sind. Jeden Stein in der Wand, jeden Hauch von Essensduft, jedes Gespräch, das ihr dort mit angehört habt – jede Kleinigkeit, an die ihr euch erinnern könnt.«
    »Was, wenn wir irgendwohin wollen, wo wir noch nie waren?«, unterbrach ich ihn.
    Rafe schmunzelte. Manchmal fand er mich und meine ständige Fragerei komisch. »Dann stellst du dir die Einzelheiten vor, so gut du kannst. Erfinde sie, falls nötig. Es hilft, wenn sie der Wirklichkeit entsprechen, aber es ist nicht zwingend nötig, solange deine Absicht rein ist.«
    »Und dann?«
    »Dann konzentrierst du dein gesamtes Wesen auf diesen Ort. Jede Zelle deines Körpers. Du atmest – und lässt los.«
    »Und dann ist man da? Einfach so?«, fragte Michael. Er konnte nicht glauben, dass etwas so Unglaubliches so leicht sein sollte.
    »Das Prinzip der Projektion klingt einfach, ist es aber nicht. Man benötigt ungeheure Konzentration.« Rafe hielt uns die Hände hin. »Sollen wir es versuchen? Zerbrecht euch nicht den Kopf über unser erstes Ziel. Ich leite euch.«
    Durften wir die Sicherheit der Wiese denn verlassen? Würden wir uns damit nicht verraten? Wieso nahm Rafe ein derart großes Risiko in Kauf? »Hast du keine Angst, was passieren könnte, wenn wir unsere Kräfte außerhalb der Wiese einsetzen?«
    Rafe sah mich an, und es lag Traurigkeit in seinen dunklen Augen. »Nicht mehr, Ellspeth.«
    Bevor ich fragen konnte, was er damit meinte, fasste er uns an den Händen.

Sechsundzwanzig

    I ch wurde in einen Strudel hineingerissen. Er war wie ein Tornado aus Licht und so hell, dass ich die Augen zukneifen musste und mich ganz fest an Rafes und Michaels Hände klammerte.
    Als das Licht schließlich schwächer wurde und ich es wagte, die Augen aufzumachen, sah ich einen Chor von Engeln, der zwischen strahlend weißen Wolken in einem azurblauen Himmel schwebte. Die Engel waren keine dicken, süßen Putten wie auf Grußkarten zum Valentinstag. Sie sahen stark und gefährlich aus. Einige bliesen Posaunen, andere trugen Gegenstände in der Hand, deren Bedeutung ich mir nicht erklären konnte, wie zum Beispiel eine Leiter oder ein Rad. Sie alle schienen ein ganz bestimmtes Ziel zu haben.
    War ich gestorben und im Himmel?
    Ich wartete, bis meine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten. Nein, ich kannte den Ort von irgendwoher. Ich war

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