Jenseits des Mondes
mein Leben davon ab.
Michael erreichte uns wenig später. Mit einer geschmeidigen Handbewegung ließ er sein Springmesser aufschnappen und fuhr mit der Klinge an Barakels nacktem Arm entlang. Blutstropfen perlten auf Barakels Handgelenk. Michael packte ihn und fing einige Tropfen auf, bevor sie herabfielen. In einer einzigen Bewegung leckte er sich das Blut von den Fingern und schnitt Barakel die Kehle durch.
Lautlos stürzte der Gefallene in die Tiefe.
Zweiunddreißig
G elähmt sah ich zu, wie Barakel auf den zerklüfteten Klippen aufschlug, die Ransom Beach umgrenzten. Ich schwebte in der Luft und war unfähig, den Blick von seinem leblosen Körper loszureißen, der zerschmettert auf den Felsen lag. Erst als Michael meine Hand nahm, erwachte ich aus meiner Starre.
Sanft leitete er mich zurück in unsere Bucht. Sobald ich festen Boden unter den Füßen spürte, begann ich, unkontrolliert zu zittern. Ob aus Erleichterung oder Schock, wusste ich nicht genau. Die starke Ellie, die Herrin der Lage war, so, wie ich es mir jeden Tag seit unserer Rückkehr aus Boston verzweifelt vorzugaukeln versucht hatte, war nur noch ein Häufchen Elend. Und ich schäumte vor Wut auf mich selbst.
»Wie um alles in der Welt soll ich jemals diese Prophezeiung erfüllen, Michael? Ich kann das einfach nicht. Du hast selbst gesehen, dass ich es nicht kann.«
»Natürlich kannst du es, Ellie. Und du wirst es auch tun.«
»Du musstest Barakel für mich töten, weil ich es nicht fertiggebracht habe.«
»Mach dir deswegen keine Vorwürfe, Ellie. Du hast dich wacker geschlagen. Ich wette, wenn ich nicht da gewesen wäre, dann hättest du ihn auch allein erledigt. Und außerdem – hat Ezekiel nicht gesagt, ich müsse ›der Ritter an der Seite meiner Dame‹ sein?«
Diese Worte rissen mich aus meinem Selbstmitleid. Ich durfte mich nicht so gehen lassen. »Die Aufgabe hast du heute auf jeden Fall erfüllt. Du bist mein Held, Michael. Ich weiß gar nicht, was ich ohne dich gemacht hätte. Danke.«
»Du musst dich nicht bedanken, es ist mir eine Ehre, dir zu helfen.« Er grinste schief. »Und nächstes Mal brauchst du meine Hilfe garantiert nicht mehr. Auch wenn ich natürlich trotzdem da sein werde, für alle Fälle.«
Nächstes Mal. Beim Gedanken an die drei verbliebenen Gefallenen holte ich tief Luft. Ich musste stark bleiben, damit ich das nächste Mal nicht wieder so jämmerlich versagte. Oder das Mal danach.
Michael hielt mich fest. Wir standen in unserer Bucht und klammerten uns aneinander. Obwohl keiner von uns es laut aussprach, warteten wir wohl beide auf irgendeine Bestätigung, dass wir zwei Gefallene getötet und somit zwei Katastrophen verhindert hatten.
»Hm. Irgendwie ist alles wie immer«, meinte ich schließlich. Ich konnte das Schweigen – und die Enttäuschung – nicht eine Sekunde länger aushalten.
»Tja«, sagte Michael. Er wusste sofort, was ich meinte. »Der Wind, das Meer, der Himmel – alles genau wie …«
Er verstummte. Da er den Satz nicht zu Ende brachte, machte ich es für ihn. »Vorher. Bevor du die zwei Gefallenen getötet hast.«
»Irgendwie hätte ich gedacht, dass wir eine Art Zeichen bekommen, wenn wir zwei Gefallene töten, die für die Siegel zuständig sind. Damit wir wissen, dass wir das Ende wenigstens ein Stück weit aufgehalten haben.«
»Ich auch. Falls wir überhaupt zwei der wichtigen Gefallenen erwischt haben.«
»Was meinst du damit?« Er klang verwirrt.
»Vielleicht haben die Gefallenen, die für die Siegel zuständig sind, ja noch Gehilfen. Ich wette, der, den du als Erstes getötet hast, war bloß ein Helfer von Barakel – dem, der hinter mir her war.«
»Dann wissen wir wohl erst ganz am Ende Bescheid, ob wir erfolgreich waren«, meinte Michael niedergeschlagen.
»Ja.« Es war eine herbe Erkenntnis, aber scheinbar ließ sich nicht daran rütteln.
Ich wünschte, ich hätte ein paar ermutigende Worte für Michael gehabt, aber ich konnte ihm nur die Wärme meiner Umarmung bieten. Wir standen eine Zeitlang schweigend da, bis der Wind auffrischte und Michael mich enger an sich zog. Die Hitze seines Atems in meinem Haar wärmte mich und ließ in mir die Hoffnung aufkeimen, dass zwischen uns doch noch alles in Ordnung war.
Aber ganz egal, wie nah wir eben dem Verderben ins Auge geblickt hatten – die Atempause war nur kurz.
»Ellie, was läuft da eigentlich zwischen dir und Rafe? Diese Visionen – die waren ziemlich krass.« Michaels Stimme klang ein wenig
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