Jenseits des Mondes
gebrochen.
Mein Herz bekam einen kleinen Knacks. Seine Traurigkeit war viel schlimmer als sein Zorn. »Michael, ich weiß, wie das ausgesehen hat …«
»Du weißt nicht, wie es ausgesehen hat. Und du weißt auch nicht, wie es sich angefühlt hat.«
Ich klammerte mich an ihn. »Bitte, Michael, glaub mir. Zwischen mir und Rafe ist nichts gewesen.«
Michael sah mir in die Augen und suchte nach der Wahrheit. Er muss etwas Aufrichtiges in meinem Blick gesehen haben – etwas, woran er sich festhalten konnte –, denn kurz darauf küsste er mich. Es war ein sanfter, zärtlicher Kuss, und ich spürte, wie die Verbindung zwischen uns wieder stärker wurde. Ich war zuversichtlich, dass er über den Schmerz, den die Visionen ihm bereitet hatten, hinwegkommen würde.
Doch dann landete plötzlich noch jemand am Ransom Beach.
Rafe.
Dreiunddreißig
O hne nachzudenken, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, rannte ich über den steinigen Sand zu ihm hin. Ich wollte ihm erzählen, was passiert war, und ich hatte eine Million Fragen – vor allem musste ich wissen, ob Barakel und der andere Gefallene, den Michael getötet hatte, für ein oder zwei Siegel zuständig waren.
Bevor ich auch nur ein einziges Wort herausbrachte, rief Michael mir hinterher: »Du kannst es wohl gar nicht erwarten, was?«
Ich blieb stehen und drehte mich zu ihm um. »Was meinst du?«
»Die Vision, Ellie, schon vergessen?« Er zeigte anklagend auf Rafe. »Außerdem habe ich doch genau gesehen, wie er dich immer anglotzt.«
Wie Rafe mich anglotzte? Was für ein Blödsinn war das denn? Rafe wollte nichts von mir – jedenfalls nichts, was über seine offizielle Rolle als Engellehrer hinausging. Michaels Ärger darüber, dass es in den Visionen zwischen mir und Rafe geknistert hatte, konnte ich ja noch nachvollziehen – auch wenn rein gar nichts passiert war. Aber warum konnte Michael meiner Liebe nicht vertrauen, sondern musste immer gleich das Schlimmste von mir denken? Das tat wirklich weh. Andererseits hatte ich vielleicht nicht das Recht, ihm Vorwürfe zu machen. Schließlich hatte ich in den letzten Tagen auch des Öfteren an Michael gezweifelt.
Trotzdem wusste ich, wie wichtig es war, dass wir zusammenhielten. Ich wollte keinen erneuten Bruch riskieren, indem ich auf eine Diskussion mit ihm einstieg. Stattdessen begann ich zu erklären. »Jetzt zieh doch nicht immer gleich voreilige Schlüsse, sondern lass mich einfach mal –«, begann ich.
Er fiel mir ins Wort. »Für wie dumm hältst du mich eigentlich? Spar dir deine Ausreden, Ellie. Ich weiß, was ich gesehen habe.«
Rafe kam mir zu Hilfe. »Michael, zwischen Ellspeth und mir ist nichts Unziemliches passiert.«
Michael hatte eine neue Zielscheibe für seinen Zorn gefunden. »Das weiß ich selbst!«, brüllte er. »Es geht doch gar nicht darum, was passiert ist. Es geht darum, was du gerne hättest ! Und wieso sollte ich dir überhaupt irgendwas glauben? Woher weiß ich denn, dass du nicht selbst einer der sieben Gefallenen bist und mit deinem Training nur den Zweck verfolgst, dass wir dir die Arbeit abnehmen und die Konkurrenz für dich ausschalten? Damit du am Ende der Zeit deine ach so teure Ellspeth ganz für dich allein hast. Umgedreht hast du sie ja schon!«
»Michael, bitte!« Ich war fassungslos, was er Rafe und mir – vor allem Rafe – vorwarf.
»Denk doch mal nach, Ellie. Woher wissen wir, dass Rafe der ist, für den er sich ausgibt? Du bist viel zu vertrauensselig.«
»Michael, ich weiß, dass er kein Gefallener ist. Ich weiß, dass er ein echter Engel ist.«
Michael stemmte die Fäuste in die Hüften. »Ach ja? Nur weil er es dir gesagt hat, oder was?«
Ich hatte ein bisschen Angst, ihm die Wahrheit sagen, aber wenn ich ihn überzeugen wollte, blieb mir wohl nichts anderes übrig. »Nein. Weil ich es in seinem Blut gesehen habe.«
Michael wurde blass. »Du hast sein Blut getrunken?«
»Weil es keine andere Möglichkeit gab, Michael. Nur so konnte ich ganz sicher sein, dass wir ihm trauen können.«
Michaels Körper machte sich flugbereit. Seine Schulterblätter wurden weit, und er streckte die Arme.
Zugegeben, die Sache mit dem Blut war ein harter Brocken, aber würde er mich deswegen ernsthaft sitzenlassen? Nach allem, was wir durchgemacht hatten, und angesichts dessen, was uns noch bevorstand? Und war das nur ein Abgang für heute oder einer für immer?
»Mach’s gut, Rafe. Das weitere Training kannst du dir schenken. Ich denke, ich habe mich heute Abend
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