Jenseits des Mondes
ganz gut geschlagen. Was dich angeht, Ellie – ich glaube nicht, dass ich jetzt gerade in deiner Nähe sein kann.«
»Michael, bleib doch hier!«, flehte ich ihn an. Ich konnte nicht glauben, dass er mich wirklich einfach so stehenlassen wollte.
Michael sah mich an. Seine Augen waren voller Traurigkeit, aber er schien fest entschlossen.
»Tut mir leid, Ellie, aber nach allem, was ich gesehen habe, kann ich nicht auch nur eine Stunde lang ruhig zusehen, wie Rafe dich anschmachtet. Es wird gleich hell. Ich glaube, morgen Abend trainiere ich lieber auf dem Footballfeld.«
»Michael, nein!«
»Und wieso nicht? Da werden meine Fähigkeiten wenigstens geschätzt.«
»Michael, ich bin so dankbar für dich und deine Fähigkeiten. Du hast mir das Leben gerettet. Du bist mein Leben.«
»Hast du dich deswegen eben von mir losgerissen, kaum dass Rafe aufgetaucht ist? Hast du deswegen sein Blut getrunken? Obwohl du ganz genau weißt, was für Gefühle das auslösen kann? Wenn ich wirklich dein Leben wäre, wie du so schön sagst, dann hättest du nichts von alldem gemacht!«
Ich wollte etwas dagegensetzen, aber Rafe bedeutete mir zu schweigen. Ich wusste, dass er recht hatte und dass meine Bitten auf taube Ohren stoßen würden, trotzdem brachte es mich fast um, Michael gehen zu lassen.
Aber es ging nicht anders.
Vierunddreißig
I ch wollte mich an Rafes starke Brust drücken und heulen. Ich wollte um die alte Ellie heulen, die gern reiste und Bücher liebte. Und um die Kreatur, die zwangsweise an ihre Stelle getreten war, die Nephilim-Ellspeth, die die ganze Zeit stark und unbesiegbar sein und irgendeine dämliche Prophezeiung erfüllen musste. Aber am allermeisten wollte ich um das heulen, was mich diese Verwandlung gekostet hatte: meine Beziehung zu Michael.
Andererseits durfte ich Michaels Eifersucht nicht noch neue Nahrung geben, indem ich Trost in Rafes Armen suchte. Stattdessen versuchte ich, mich kämpferisch zu geben. Ich straffte die Schultern, stemmte die Hände in die Hüften und sagte: »Na, toll, und was jetzt? Ich dachte, die Prophezeiung gilt für mich und Michael zusammen. Außerdem ist spätestens jetzt klar, dass es ohne ihn nicht geht. Er hat heute Abend die zwei Gefallenen getötet. Michael ist derjenige, der verhindert hat, dass sich zwei weitere Siegel öffnen, nicht ich.«
Michaels Flucht hatte Rafe nicht im mindesten beeindruckt. Er schien immun zu sein gegen die Launen der Menschen. Das war eine Eigenschaft, die sein himmlisches von seinem menschlichen Selbst unterschied.
Und entsprechend ruhig war seine Stimme, als er mir antwortete. »Michael hat in der Tat verhindert, dass das vierte Siegel geöffnet wurde. Barakel hätte eine weltweite Wirtschaftskrise ausgelöst. Ellspeth, bitte mach dir keine Gedanken. Wenn die Zeit kommt, wird Michael die ihm zugedachte Rolle erfüllen.«
»Wie kannst du dir da so sicher sein?«
»Gott hat es in Seinem Wort offenbart. Er irrt sich höchst selten.«
»Und was ist mit dem freien Willen? Schließlich haben die Gefallenen ja auch gegen seine Wünsche gehandelt.«
»Es stimmt, Gott hat all Seinen Geschöpfen den freien Willen gegeben. Allerdings glaube ich, dich und Michael inzwischen gut genug zu kennen, um sagen zu können, dass eure Willensentscheidung Seinem Wort entsprechen wird.«
Und was hatte er Rafe sonst noch so alles gesagt? Schon wieder kam mir der leise Verdacht, dass er irgendetwas vor uns verheimlichte. »Hat er vielleicht auch eine Vorhersage dazu gemacht, ob Michael mich noch lieben wird, wenn das alles hier vorbei ist? Gesetzt den Fall, ich mache meinen Job richtig, versteht sich.«
»Sein Wort offenbart nur das Notwendige«, meinte Rafe mit einem kleinen Lächeln, mit dem er mich vermutlich beruhigen wollte.
Ich war aber nicht beruhigt. Ich hätte am liebsten laut geschrien. Ich hasste es, wenn Rafe in seinen Engeljargon verfiel. Diese ganzen mysteriösen Andeutungen und ausweichenden Antworten machten mich langsam wahnsinnig. Und misstrauisch.
Was, wenn Michael recht hatte? Was, wenn das gemeinsame Training und die Zuneigung, die er mir gezeigt hatte, nur ein Trick gewesen waren? Was, wenn er in Wirklichkeit nur darauf aus war, mich an seiner Seite zu haben, wenn er am Ende das siebte Siegel öffnete? Was, wenn er mich mit seinem Blut doch getäuscht hatte? Vielleicht war es an der Zeit, ihm ein bisschen auf den Zahn zu fühlen.
Ich funkelte ihn herausfordernd an. »Wenn du so viel weißt, warum verrätst du mir dann nicht,
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