Jenseits des Mondes
hast recht. Ich weiß es ja selbst«, flüsterte ich mit erstickter Stimme.
Ich machte die Augen auf, um ihn noch ein letztes Mal anzusehen.
Er war fort.
Aber im Heulen des Windes über dem Strand glaubte ich, seine Stimme hören zu können.
»Ich wache über dich, Ellspeth.«
Fünfunddreißig
I ch war allein.
Dass meine Eltern unruhig auf der Schwelle unseres kleinen viktorianischen Hauses auf mich warteten, als ich nach einem einsamen Flug vom Ransom Beach vor unserer Haustür landete, zählte nicht. Es zählte auch nicht, dass ich nach einem Blick auf mein Handy feststellte, dass Ruth mir unzählige SMS geschrieben und Nachrichten auf der Mailbox hinterlassen hatte, weil sie sich wegen des Vulkanausbruchs Sorgen machte. Genau, wie es nicht zählte, dass Rafe irgendwo da draußen war und ein Auge auf mich hatte.
Ich brauchte Michael. Nicht meine Eltern, nicht Ruth, nicht mal Rafe. Ohne Michael war meine Welt leer. Die Vision hatte mir gezeigt, dass wir zusammengehörten, ganz egal, wie weit wir uns in der letzten Zeit voneinander entfernt hatten und wie sehr ich durch Rafe abgelenkt gewesen war. Sie hatte mir vor Augen geführt, wie öde und traurig ein Leben wäre, in dem Michael und ich nicht vereint waren. Er war mein Schicksal, unsere Seelen gehörten zusammen. Er war der Einzige, der die ganze Ellie verstand und liebte – den Menschen und den Engel.
Aber was nützte es? Wie es aussah, würde ich das Böse ganz allein besiegen müssen. Anders als beim letzten Mal, als ich mich so allein gefühlt hatte – am Bahnhof von Tillinghast auf dem Weg nach Boston –, wusste ich zwar jetzt ganz genau, wer ich war und was ich tun musste. Aber dieses Wissen machte mir meine Einsamkeit kein bisschen leichter. Im Gegenteil.
Ich wollte mich unter meiner warmen, kuscheligen Bettdecke verkriechen. Nur für ein paar Minuten. Aber nachdem meine Eltern mich in die Arme geschlossen hatten, überglücklich, dass ich aus der Konfrontation mit zwei gefallenen Engeln unbeschadet hervorgegangen war, eröffneten sie mir, dass daraus nichts werden würde.
»Es tut mir so leid, mein Liebes«, murmelte Dad in meine zerzausten Haare. »Ich weiß, dass es schwer ist. Aber die anderen Gefallenen des Lichts sind der Ansicht, dass du dich am besten vor unseren Feinden verbirgst, indem du deinen normalen Tagesablauf beibehältst.«
Wahrscheinlich dachten sie auch, dass ich so – für den Fall, dass die verbliebenen Gefallenen mich noch nicht geortet hatten – das Überraschungsmoment auf meiner Seite haben und am besten würde angreifen können. Aber das sagte ich meinem Dad lieber nicht. Er war schon fertig genug.
Meine Mutter wollte offenbar sichergehen, dass ich die Ansage verstanden hatte und mir klar war, dass ich heute ganz normal zur Schule gehen würde, denn sie setzte hinzu: »Außerdem glauben sie, dass sie mich und Dad besser schützen können, wenn wir von dir getrennt sind.«
Bestimmt fürchteten sie, dass die Nähe zu mir meine Eltern unnötig in Gefahr bringen würde, außerdem wäre ich anfälliger für Erpressungsversuche, sollte es den Gefallenen der Dunkelheit gelingen, meine Eltern als Geiseln zu nehmen. Aber auch das behielt ich für mich. Es hätte uns den Abschied nur noch schwerer gemacht. Also nickte ich einfach nur und ging nach oben, um zu duschen, während meine Eltern hilflos auf der Veranda zurückblieben.
Ich würde also zur Schule gehen wie an jedem anderen Tag. Das kam mir so surreal, so sinnlos vor. Die alte Ellie war mittlerweile in dermaßen weite Ferne gerückt, dass ich nicht sicher war, ob ich auch nur einen weiteren Tag so tun konnte, als wäre ich sie. Aber mich darüber aufzuregen war zwecklos. Wenn ein weiterer Tag Verstellung meine Eltern vor dem Schicksal bewahren konnte, das ich in Gestalt des von Dämonen belagerten Mannes in Michelangelos Jüngstem Gericht gesehen hatte, dann würde ich mich eben verstellen. Ich würde alles tun, um sie vor dem drohenden Unheil zu schützen.
Ich versuchte, all meinen Mut zusammenzunehmen. Ich sagte mir immer wieder, dass ich die Auserwählte war, dass er – wer oder was auch immer er war – fest an mich glaubte, auch wenn ich selbst nicht an mich glauben konnte.
Nachdem ich so heiß geduscht hatte, wie es irgendwie auszuhalten war, um mir jede Spur von Barakel vom Körper zu waschen, ging ich in mein Zimmer und zog Jeans, ein graues T-Shirt, einen Pulli und meine Lieblingsstiefel an. Es war mein praktischstes Outfit und wegen der
Weitere Kostenlose Bücher