Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
Schneidezähnen, die Glück versprach und die ein Segenszeichen Allahs war und die dem Mahdi zu eigen sein sollte? Hatte er nicht ein Geburtsmal auf der rechten Wange, das ein Zeichen seiner Heiligkeit war? Und hatte er nicht schon Wunder bewirkt, unheilbar Kranke geheilt? Speis und Trank im Überfluss hervorbringen lassen, wo immer er sich aufhielt? So viele Zeichen, die keinen Zweifel aufkommen ließen: Mohammed Ahmed war der Erwählte, der Mahdi, dunkelhäutig, gut aussehend und charismatisch, voller Weisheit und Güte und unendlicher Geduld. Und die drei senkrechten Narben auf seiner linken Wange, die Zeichen seines Stammes, verkündeten: der Mahdi – er ist ein Sohn dieses Landes. Er ist einer von euch.
Und zu der Zeit, als in England, in Surrey, eine Handvoll junger Leute den Sommer feierten, den besten Sommer ihres Lebens bislang, versammelte Mohammed Ahmed alle wichtigen Scheichs im Sudan auf der Insel von Abba; Scheichs, die selbst aus Darfur herbeikamen und aus Kordofan, einige gar vom Roten Meer. Ja, ich bin es , verkündete er dort. Ich bin derjenige, der euch versprochen wurde und den ihr erwartet. Ich bin der Mahdi.
»Ehre den Männern, die am Leben bleiben«, sprach er. »Und Allahs Gnade denen, die fallen werden. Dieses Land soll gesäubert werden von den elenden Türken. Besser tausend Gräber als ein einziger Taler an Steuern!« Und viele, die um ihn versammelt waren, fielen inbrünstig ein, als er hinzufügte: »Es gibt keinen Gott außer Allah. Und Mohammed ist der Prophet Allahs. Und Mohammed el-Mahdi ist der Nachfolger von Allahs Prophet!«
Der Mahdi ist gekommen. Es waren diese Worte, die wie süß duftende Rosenblüten auf den Nil fielen und auf seinen Wassern dahintrieben. Worte, die von Boot zu Boot weitergegeben wurden und mit den Booten an das Ufer übersetzten. Auf dem Rücken der Kamele brachten die Karawanen sie in den Norden und in den Süden, in den Osten und in den Westen, in jedes Dorf,zu jedem Stammesmann. Eine frohe Botschaft war es, die sich die Frauen am Brunnen erzählten und über die die Männer in den Kaffeehäusern sprachen. Der Mahdi ist gekommen. Die gute Nachricht, die der Mahdi selbst niederschrieb, dutzendfach, und an alle wichtigen Würdenträger überbringen ließ. Der Mahdi ist gekommen.
Auch in Cairo hörte man davon, und dort hörte man es nicht gern. Nach Khartoum erging der Befehl, mit einer Abordnung von zweihundert Soldaten auf Abba einzumarschieren und diesen Unruhe stiftenden, anmaßenden Wirrkopf namens Mohammed Ahmad festzunehmen oder besser gleich auszumerzen. Sie hatten kaum ihre Musketen angelegt, als die Anhänger des Mahdi auf sie einstürmten, sie mit grob zurechtgeschnitzten Knüppeln niederschlugen und ihnen mit Steinen den Schädel zertrümmerten, sie mit ihren Speeren durchbohrten und mit ihren Schwertern zerhackten. Sieg! Sieg! Sie reckten die blutigen Fäuste jubelnd zum Himmel. Sieg! Wir erobern unser Land zurück! Krieg den Türken! Krieg! Im Namen Allahs und des Mahdi, mit Feuer und Schwert!
25
Stephen schlenderte durch den pulvrigen goldgelben Sand, der bei jedem seiner Schritte aufstob, und ging in Gedanken noch einmal die Vorbereitungen durch, die er seine Männer hatte treffen lassen. Ausrüstung Stück für Stück durchsehen und überprüfen. Wasserflaschen und Provianttaschen füllen. Munitionsvorrat aufstocken. Gewehre reinigen und schmieren. Nein, er hatte nichts vergessen, alles erledigt und in Ordnung.
Er ging auf die Knie und setzte sich auf den Boden. Der Untergrund war kühl, und sofort zog ein klammes Gefühl durch den Stoff seiner Hosen. Trotzdem zog er Stiefel und Socken aus, grub seine nackten Zehen tief in den kalten, klebrig mehligen Sand. Ein Gefühl auf der Haut wie Freiheit, und er seufzte selig auf. Der weite Himmel, flach wie eine straff gespannte Plane, war grau und unfreundlich, und vom Meer her kam ein frischer Wind herein, der gut roch, klar und rein. Unschuldig beinahe. Eine Weile saß Stephen nur da, sah auf das Wasser der Lagune hinaus, das in gleichmäßigen Atemzügen über den Strand strich und sich wieder zurückzog, und auf die flachen kamelbraunen Inseln, die die blasse Linie des Horizonts unterbrachen. Aus der Uniformjacke zog er sein Notizbuch hervor, auf dessen Seiten er manchmal etwas festhielt, das ihm wichtig erschien, oder etwas, das ihm gerade durch den Kopf ging, holte einen leeren Briefbogen hervor und setzte den Bleistift an.
Trinkitat, den 28. Februar 1884
Liebe Ads, liebe
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