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Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Titel: Jenseits des Nils: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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war. Er wäre gern einfach hier sitzen geblieben, in der Stille fernab des Lagers, vielleicht um die Aussicht, die sich ihm hier bot, in ihrer Ödnis von einer ganz eigentümlichen Schönheit, in einer kleinen Skizze festzuhalten. Wie er es manchmal tat, auf den Seiten seines Notizbuches. Nur Kritzeleien waren es, zu mehr fehlte ihm das nötige Talent, aber sie taten ihm dennoch wohl.
    Schweren Herzens rieb er sich den Sand von den Füßen und zog Socken und Stiefel an. Im Aufstehen klopfte er sich den Hosenboden sauber und wanderte dann langsam zum Lager zurück, zwischen den Soldaten und den Offizieren hindurch, die ihren Tornister packten und ihr Bündel schnürten, mit der Pflege ihrer Waffen beschäftigt waren oder einfach beieinandersaßen, rauchten und die Anspannung, vielleicht auch die Angst, wegredeten und weglachten, bis zum Zapfenstreich geblasen würde. Die Sanitäter durchwühlten ihre Medizintaschen und wickelten Bandagen auf, und die Ärzte zählten ihre Instrumente nach.
    Er ging auf eines der wenigen weißen Versorgungszelte zu, vor dem auf einer umgestülpten Kiste ein spindeldürrer Kerl saß mit einem Gesicht wie eine zu lange gelagerte Kartoffel. Eine zerknitterte qualmende Zigarette im Mundwinkel, eine andereals Vorrat hinter dem Ohr, pulte er mit der Spitze eines Feldmessers seine Fingernägel sauber.
    »He, Fred.« Stephen stieß ihn gegen die Schulter und hielt ihm den Brief unter die Nase. »Meinst du, du könntest den irgendwie nach Suakin bekommen?«
    »Wollwoll«, nuschelte Fred, sodass die Zigarette zwischen seinen Lippen auf und ab wippte, griff nach dem Umschlag und ließ ihn sogleich in den geöffneten Sack neben sich fallen, der einen ganzen Berg an Briefen enthielt; offenbar war Stephen nicht der Einzige, der noch schnell nach Hause geschrieben hatte. Fred, der Postmeister, kniff ein Auge zusammen und sah Stephen mit breitem Grinsen von unten herauf an. »Für euch geht’s morgen los, was?« Er ballte die knorrige Hand zur Faust und boxte energisch in die Luft. »Macht sie fertig! Zeigt den Fuzzies, wer der Stärkere ist!« Fuzzies oder Fuzzy-Wuzzies , »Wollköpfe« – der Spottname für die üppige Lockenpracht der Hadendoa, des Stammes von Osman Digna, hatte sich schnell verbreitet, auch und gerade unter den Männern, die noch keinen von ihnen zu Gesicht bekommen hatten.
    »Danke schon mal. Für den Brief.« Stephen rang sich ein unverbindliches Lächeln ab und stiefelte weiter. Vorbei an den Husarenregimentern und deren Pferden und an Kamelen und Mauleseln, die Wasser und Munition transportieren würden; vorbei am King’s Royal Rifle Corps in ihren schwarzblauen Uniformen, die sich in der Schlacht von Tel el-Kebir bereits verdient gemacht hatten, und vorbei an der Black Watch in ihren tomatenroten Uniformröcken und schwarzen Kilts; vorbei an der Artillerie, die noch einmal an den Geschützen herumbastelte und herumschraubte, und vorbei an den blauen Uniformen der Royal Navy, die ihre Kanonen hätschelten, hinüber zu den Khakiuniformen seines Regiments, zu seinem Lagerplatz und dem seiner Freunde.
    »Was um alles in der Welt macht ihr denn da?«, rief er im Näherkommen.
    »Nach was sieht’s denn aus?«, rief Leonard belustigt zurück.
    Leonard, Jeremy, Royston und Simon saßen im Kreis auf ihren ausgebreiteten Wolldecken, jeder zwei Haufen Munition links und rechts neben sich. Im Akkord nahm jeder eine Patrone von einem Haufen, bearbeitete sie emsig mit einem Werkzeug und legte sie dann auf den zweiten Haufen, bevor er eine neue Patrone aufnahm. Der Sand vor ihnen war übersät mit Metallspänen und feineren, messingglimmernden Teilchen.
    »Letzte Vorbereitungen«, kam es augenzwinkernd von Royston, während Simon mit konzentriert gerunzelter Stirn ganz in seiner Tätigkeit aufging.
    Stephen trat näher und kniete sich neben Jeremy, der nur kurz aufsah und Stephen eine der bearbeiteten Patronen gab, die dieser sich genauer besah.
    »Ihr feilt den Messingmantel an der Spitze ab?«, rief er verblüfft aus.
    »War Jeremys Idee.« Leonards Kopf ruckte in dessen Richtung.
    »Nicht ganz«, murmelte dieser, während er die nächste Patrone dieser Prozedur unterzog. »Ist ein Tipp, den ich von einem Offizier bekommen habe, der in Indien gedient hat. Und den hab ich als Hinweis an die anderen und als Befehl an meine Männer weitergegeben.«
    »Wenn der weiche Bleikern freiliegt, kann das Geschoss zwar nicht mehr so tief eindringen«, erklärte Leonard und veranschaulichte seine

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