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Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Jenseits des Nils: Roman (German Edition)

Titel: Jenseits des Nils: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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Grace,
    ich danke Euch sehr für Eure lieben Zeilen, wenn ich sie auch mit Verspätung erhalten habe, da wir bereits seit einiger Zeit nicht mehr in Cairo sind. Per Eisenbahn und Schiff sind wir – eingepfercht wie auf einem Viehtransport – nach Suakin verbracht worden, eine Hafenstadt am Roten Meer, die bereits im Sudan liegt und wo wir mittlerweile unser Hauptquartier aufgeschlagen haben. Seit ein paar Tagen halten wir uns weiter im Süden auf, hier in Trinkitat. Mitten im Nichts. Nur Sand und Wasser, so weit das Auge reicht.
    Gewiss habt Ihr inzwischen aus den Zeitungen erfahren, dass die im September entsandten ägyptischen Truppen unter Hicks Pasha von den Anhängern des Mahdi Anfang November bei El Obeid restlos vernichtet wurden, bis auf den letzten Mann. (Liest man bei Euch überhaupt etwas darüber? Ich weiß zwar, dass einige Berichterstatter hier herumschwirren, aber mir kommt es so vor, als säßen wir hier am Ende der Welt und plagten uns mit einem Aufstand herum, der im Grunde niemanden wirklich interessiert. Falls ich Euch also mit Nachrichten behellige, die für Euch längst ein alter Hut sind, seht es mir bitte nach!).
    Es ist ein Flächenbrand, der den Sudan überzieht. Der ganze Süden bis hinauf nach Khartoum soll in den Händen des Mahdi sein, und mit jedem Sieg findet er neue Anhänger, erbeutet er mehr Feuerwaffen, die ihn noch stärker machen. Es scheint mir sinnvoll, dass unsere Regierung den Khediven gedrängt hat, den Sudan aufzugeben; soll der Mahdi hier doch tun und lassen, was er will. Aber es will mir nicht in den Kopf, dass ausgerechnet wir, die britische Armee, jetzt die Kohlen aus dem Feuer holen sollen. Wir sollen den Sudan räumen und die überall in Garnisonen verteilten und zum Teil von den Aufständischen eingeschlossenen ägyptischen Soldaten herausholen. Warum wir? Die Regierung unter Gladstone will nichts zu tun haben mit Ägyptens Problemen im Sudan, aber uns schicken sie dennoch hierher.
    Andererseits ist mir bewusst, das dies auch ein Einsatz für die Menschlichkeit ist, und allein darin sehe ich unsere Verpflichtung, gegen den Mahdi zu marschieren. Schließlich geht es darum, die Zivilisten in Khartoum zu evakuieren, und das sind viele Tausend. Zu diesem Zweck haben sie sogar Major General Gordon aus dem Ruhestand zurückgeholt. Er kennt die Stadt, er war ja einmal dort Gouverneur des Sudan von des Khediven Gnaden. Vor zwei Wochen ist er dort eingetroffen und wird die Räumung der Stadt vorbereiten – und wir, wir sollen den Korridor für die Flucht durch das feindliche Gebiet schlagen, für den wahrscheinlichen Fall, dass der Weg über den Nil von den Mahdisten abgeschnitten wird. Hier im Osten hat sich ein Sklavenhändler namens Osman Digna (ich bin mir nicht sicher, ob er sich so schreibt) dem Mahdi angeschlossen und sich bis fast vor Suakin vorgekämpft. Tokar und Sinkat hat er schon eingenommen und dabei die Truppen von Baker Pasha, die vor uns versucht haben, die Schneise zu schlagen, fast vollständig ausgelöscht. Nur eine Handvoll Männer gelangte zurück in das Camp von Trinkitat. Und wir brauchen Suakin; der Landweg dorthin und von dort über das Rote Meer ist der einzig mögliche Fluchtweg für die Menschen von Khartoum.
    Morgen in aller Frühe brechen wir auf ins Landesinnere. Wir werden denselben Weg nehmen wie Baker Pasha, der auch wieder mit dabei sein wird, und wir werden versuchen, mit über viertausend Mann Osman Digna und seine Krieger zu vernichten. Ich würde lügen, wenn ich behauptete, ich hätte keine Angst – denn dieses Mal wird es für uns nicht ohne Kampf abgehen, und das, was wir bisher über die Mahdisten gehört haben, war furchteinflößend.
    So bitte ich Euch: Wünscht uns allen Glück und Erfolg bei diesem Unternehmen. Ich hoffe, wir sind bald wieder sicher in Suakin oder Cairo. Sagt bitte dem Colonel nicht, was ich Euch da schreibe, und Mama auch nicht unbedingt. Sie sollen mich beide nicht für einen Feigling halten. Ich hab Euch beide lieb, Ihr fehlt mir sehr! Grüße an unsere Eltern und auch an Becky.
    Euer Stevie
    P.S. an Grace: Ich nehme an, Jeremy schreibt es Dir nie, und er verliert auch uns gegenüber kein Wort darüber, aber ich weiß, er vermisst Dich.
    Nachdem er den Umschlag zugeklebt hatte, sah er noch eine Weile aufs Meer hinaus und vermied es dabei, einen Blick auf die geschützbewehrten Schiffe und auf die vertäuten Boote zu werfen, mit denen sie hierhergekommen waren und die ihn daran erinnerten, warum er hier

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