Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
des weiblichen Geschlechts hinterlassen, die nicht weichen wollte. Gegen die auch die willigen Freudenmädchen in den feinen Etablissements Londons nichts hatten ausrichten können. Royston hatte sie nur noch aufgesucht, wenn das Drängen seines Körpers allzu schmerzhaft, allzu unbeherrschbar geworden war, in einer Mischung aus Gier und Sehnsucht und aus Rachedurst an der gesamten Weiblichkeit. Jedes Mal hatte er die plüschigen, überladenen Räumlichkeiten mit einem noch größeren Gefühl des Ekels und des Selbsthasses verlassen, und das letzte Mal lag deshalb nun schon eine ganze Zeit zurück.
Er sah auf, als Becky vor ihn hintrat und ihm die Hand auf den Oberarm legte. »Nimm es ihm nicht übel. Er ist bestimmt nur furchtbar enttäuscht – er hatte so gehofft, du würdest sein Trauzeuge sein wollen.«
Becky hatte sich verändert, stellte Royston fest. Gereifter wirkte sie, ruhiger vor allem und fraulicher, und das hochgeschlossene Nachmittagskleid in einem Violett wie Parmaveilchen schmeichelte nicht nur ihrem braunen, wie mit Gold durchwirkten Haar, dem Rehbraun ihrer grün gesprenkelten Augen – es machte aus der Pfarrerstochter, die immer auf durchaus liebenswerte Art ein bisschen provinziell gewirkt hatte, eine richtige Dame. Dazu trugen sicher auch die schlichten Ohrgehänge mit den Amethysten bei, die Royston vor vielen Jahren schon einmal an Lady Norbury gesehen zu haben glaubte. Sein Blick fiel auf den Goldreif an Beckys linkem Ringfinger, den ein von Diamantsplittern umschlossener Smaragd zierte.
»Tu es nicht, Becky«, sagte er leise. »Heirate ihn nicht. Du machst dich nur unglücklich.«
»Siehst du das denn nicht, Royston?«, gab sie ebenso leise zurück, und ihre Stimme klang dabei noch süßer als gewöhnlich, wie Nougat mit Schokolade. »Wir sind glücklich .«
»Hat er es dir denn nicht gesagt?«, rutschte es ihm, ohne nachzudenken, heraus. »Hat es dir überhaupt irgendjemand gesagt?«
Becky runzelte die Stirn. »Was gesagt?«
Roystons Ohren begannen zu glühen. Er hatte sich zu weit vorgewagt und sich damit in diese peinliche Situation gebracht. Aber Beckys fragender, fast schon angstvoller Blick machte ihm einen Rückzug unmöglich. »Stevie ...«, druckste er herum. »Stevie wird nie ... also, er kann nicht ... Er wird nie seinen – seinen«, er hüstelte, »seinen ehelichen Pflichten nachkommen können.«
Auf Beckys ausgeprägten Wangen flammte es auf, dann lächelte sie, ein strahlendes, dennoch in sich gekehrtes Lächeln. »Vielleicht kannst du das nicht verstehen, als Mann – aber es gibt nicht nur einen Weg, eine Frau glücklich zu machen.« Sie löste die Mehrdeutigkeit ihrer Worte nicht auf, sah ihn stattdessen mit ernster Miene an, einen beseelten Glanz in den Augen. »Ich liebe Stevie über alles, Royston. Und er braucht mich. Mehr gibt’s dazu nicht zu sagen.«
Royston sah ihr hinterher, wie sie den Salon verließ, so selbstverständlich, als hätte sie Lady Norbury bereits als Herrin des Hauses abgelöst, und er dachte bei sich, dass Becky Stephen mindestens ebenso sehr brauchte wie er sie. Ein Gedanke, der ihn ebenso anrührte, wie er ihm Beklemmung verursachte.
Die verträumte, sehnsüchtige Melodie, die vom Musikzimmerherüberrieselte, zog ihn wie magisch an. Ohne sich willentlich in Bewegung gesetzt zu haben, ging Royston durch den Raum und über den Korridor. An den Türrahmen gelehnt, sah er Ada zu, wie sie am Piano saß und spielte. Er kannte das Stück, das eigentlich für vier Hände geschrieben war, und er nahm an, dass Ada es bewusst ausgesucht hatte, als wollte sie damit ausdrücken, wie sie sich fühlte, wie halbiert; eine Empfindung, die Royston nur zu bekannt vorkam.
Nach dem letzten Akkord nahm Ada die Hände von den Tasten und sah auf, zu ihm hin, nicht wirklich erschrocken, aber doch überrascht. »Hallo, Royston.«
»Hallo, Ads. Entschuldige, dass ich hier so heimlich herumlungere und lausche.«
»Macht doch nichts. Komm ruhig herein.«
Er trat an das Piano. »Wie geht es dir?«
Ada nickte, einen resoluten Zug um den Mund. »Es ... geht.«
»Du siehst auch besser aus als zuletzt im Mai.« Was der Wahrheit entsprach; sie war zwar immer noch sehr dünn und blass, wirkte aber nicht mehr so ausgezehrt, und ihre Züge hatten eine gewisse Weichheit zurückerlangt.
Einer von Adas Mundwinkeln zuckte. »Du siehst auch gut aus.«
Royston strich sich verlegen über den beginnenden Bauchansatz. »Ich fürchte, ich stehe etwas zu gut im Futter
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