Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
eine gewisse Zeit.
»Das Warten und die Sehnsucht gehören dazu«, ergriff ihre Mutter wieder das Wort. »Das ist das Los von uns Offiziersfrauen. Und auch dass man sich beschäftigt hält, um die Zeit zwischen den Urlauben seines Mannes zu verkürzen.« Die Nadel glittlangsamer durch den Stoff. Es schien, als würde sie ihre nächsten Worte wohl abwägen, und schließlich setzte sie behutsam hinzu: »Gewöhn dich besser schon jetzt daran. Es sei denn, du überlegst es dir doch noch anders und entscheidest dich für Leonard statt für Mr Danvers.«
Grace wandte rasch den Kopf ab und kratzte mit dem Daumennagel über den Brokatstoff des Lehnenpolsters, und in diesem Augenblick zeigte sie in Gestik und Mimik eine verblüffende Ähnlichkeit mit ihrer jüngeren Schwester.
»Wir waren immer nachsichtig mit dir, Grace«, hörte sie ihre Mutter leise sagen. »Aber wir sind nicht blind. Ich muss dir wohl nicht erzählen, dass dein Vater alles andere als begeistert ist.«
Grace schüttelte den Kopf. »Nein.« Offen sah sie ihre Mutter an. »Obwohl ich es nicht gerechtfertigt finde.«
»Ach, Grace«, seufzte ihre Mutter und schob den Stickrahmen im Schoß zurecht, »ich verstehe dich durchaus, und ich weiß, wovon ich rede. Zu meiner Zeit war es weiß Gott noch nicht selbstverständlich, dass man den Mann heiratet, für den das Herz schlägt.« Sie beugte sich vor, griff zu ihrer zierlichen Schere und schnitt den Faden auf der Rückseite der Stickerei ab. »Mein Vater war auch nicht gerade glücklich über meine Wahl, so schwer verwundet, wie dein Vater damals war. Er fürchtete, ich junges Ding würde mich ein Leben lang an einen pflegebedürftigen Invaliden ketten, und da spielte es für ihn auch keine Rolle, dass euer Vater als Held galt und dazu mit dem Victoria Cross ausgezeichnet wurde. Aber mein Vater konnte sich darauf verlassen, dass mit Shamley zumindest immer für mein Auskommen gesorgt sein würde. Was Mr Danvers jetzt und wohl in den nächsten Jahren verdient, reicht nicht für eine Familie. Selbst dann nicht, wenn du den kleinen Fonds dazunimmst, den wir auf deinen Namen für deine Mitgift angelegt haben.« Mit einem weichen Ausdruck auf dem Gesicht sah sie ihre Tochter an. »Auch die größte Liebe leidet auf Dauer darunter, wenn kein Geld für Brot und Milch und für Kleider und Schuhe und Schulbücher da ist! So unromantisch das auch sein mag, aber gerade Kinder verschlingen viel Geld.«
»Ich weiß, Mama«, flüsterte Grace. Sie hatte genug Einblick in die Bücher von Shamley Green gehabt, um eine Vorstellung davon zu gewinnen, was das Leben kostete, selbst wenn man, wie die Norburys, zwar nicht reich, aber doch wohlhabend war und keinen verschwenderischen, aber doch einen gehobenen Lebensstil pflegte.
Nachdenklich strichen Constance Norburys schlanke Finger über die bereits gestickten Blüten und Blätter. »Dein Vater und ich waren uns immer einig, dass wir euch drei nie zu einer Ehe zwingen und euch auch nie verbieten werden, jemanden zu heiraten, gerade weil uns beiden das erspart geblieben ist. Aber wir werden ganz gewiss nicht die Hände in den Schoß legen und tatenlos zusehen, wenn eines von euch Kindern im Rausch der Gefühle dabei ist, sein Leben zu zerstören.« Sie schnitt ein Stück grünes Garn ab, feuchtete den Anfang zwischen den Lippen an und fädelte es durch das Nadelöhr. »Wenn du Mr Danvers unbedingt willst, dann musst du warten und hoffen – und am besten gleich noch beten, dass ihm ein schneller Aufstieg vergönnt ist. Und wir machen keinen Hehl daraus, dass uns Leonard weitaus lieber wäre, in jeder Hinsicht.« Sie atmete tief durch und lächelte. »So, genug gepredigt für heute.«
Grace sah ihrer Mutter eine Weile zu, wie sie die Rosenknospe des Kissenbezugs mit zarten Kelchblättern versah. »Ich habe mir überlegt, vielleicht ans Bedford zurückzugehen.«
Constance Norbury schmunzelte, ohne aufzublicken. »Um deinetwillen oder damit euer Vater Ada vielleicht doch noch die Erlaubnis gibt?«
Grace’ Wangen färbten sich. War sie denn heute aus Glas, ebenso durchschaubar?
»Beides«, bekannte sie schließlich.
Das Schmunzeln ihrer Mutter vertiefte sich. »Da musst du deinen Vater fragen.«
Im Korridor blieb Grace stehen und warf einen Blick durch die geöffnete Tür des Musikzimmers. Den Kopf gesenkt, saß Ada am Piano und spielte immer ein und dieselbe Melodie. Über ihren Schultern lag der Schal in Rosé und Grün und Cognac, den Simon ihr aus Chichester geschickt
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