Jenseits des Nils: Roman (German Edition)
seiner Tochter ab. »Aber Stevie wird Shamley doch einmal übernehmen, oder?«
Die Schultern des Colonels zuckten kurz hoch. »Es würde dir zumindest nicht schaden. Womöglich bist du später froh, wenn du auf diese Erfahrung zurückgreifen kannst.«
Unter dem bohrenden Blick ihres Vaters senkte Grace die Lider. Er brauchte kein Wort mehr zu sagen, um seiner Erwartung Ausdruck zu verleihen, dass sie eines Tages Herrin über Givons Grove und Hawthorne House sein würde. Indem sie Leonard das Jawort gab.
Als seine Tochter schwieg, hakte er nach. »Deine ... Anwandlung hat nicht zufällig etwas damit zu tun, dass ich deiner Schwester nach wie vor die Erlaubnis verweigere?«
Grace hatte früh begriffen, dass ihr Vater einiges vertrug, solange er nicht den Eindruck hatte, dass man mit verdeckten Karten spielte; etwas, das ihrer eigenen Wesensart sehr entgegenkam. Sie sah ihn unverwandt an. »Doch, Papa. Ich möchte selbst wieder dorthin zurück, aber ich hoffe auch, dass du Ada dann ebenfalls gehen lässt.«
Ihr Vater schob seine Brille ein Stück weiter weg und stützte sich mit verschränkten Unterarmen auf dem Tisch ab. »Du bist mündig, Grace.«
Grace verschränkte ebenfalls die Arme und stützte sie auf den Tisch, genauso, wie sie es schon als kleines Mädchen getan hatte, wenn sie ihm die Stirn bot, und das Auffunkeln in seinen Augen verriet ihr, dass er daran auch heute noch sein Vergnügen hatte. »Du weißt genau, dass ich trotzdem deine Unterschrift für die Anmeldung brauche, und selbst wenn ich das Studiengeld aus meinem Fonds bestreiten wollte, bräuchte ich dafür ein entsprechendes Dokument aus deiner Feder.« Das Spielerische verschwand aus ihren Zügen. »Und ich gehe nicht ohne Ada.«
Auch die Miene ihres Vaters wurde ernst. Er lehnte sich zurück und betrachtete aus schmalen Augen seine Tochter, die seinem Blick unverwandt standhielt.
»Bitte, Papa – Ada wünscht es sich so sehr, das weiß ich«, setzte sie noch hinzu.
In Augenblicken wie diesen fragte sich Colonel Norbury, ob er nicht doch zu viele Jahre in der Erziehung seiner Kinder versäumt hatte und ob seine Connie nicht doch zu nachsichtig gewesen war, während er in der Ferne seine Pflichten für das Empire erfüllte. Diese Kinder, das älteste nicht lange nach der Hochzeit gezeugt, die beiden jüngeren während zweier Heimaturlaube, in jenen Nächten, in denen es für ihn und Connie so viel nachzuholen gab. Kinder, die er immer nur im Abstand von zwei oder mehr Jahren gesehen hatte. Die ihm jedes Mal wie neue Kinder vorgekommen waren, in ihrer Entwicklung viel weiter vorangesprungen, als er sie in Erinnerung gehabt hatte. Nie hatte er ein Neugeborenes im Arm gehalten, nie war er dabei gewesen, wenn eines seiner Kinder die ersten unsicheren Schritte gewagt hatte, und nie war ihr erstes Wort »Papa« gewesen.
Vor allem bei Grace hatte er sich diese Frage oft gestellt, wenn er zufällig Zeuge wurde, wie sie auf Bäume hinaufkletterte, die Zunge konzentriert im Mundwinkel; wie sie sich mit LeonardHainsworth im Gras balgte und lachend davonrannte, die Hand mit dem noch warmen Stück Kuchen triumphierend hochgereckt, das sie Bertha vom Blech herunterstibitzt hatte.
»Ist es nicht schon zu spät für eine Anmeldung zum kommenden Trimester?«, fragte er schließlich nüchtern.
Auf Grace’ Wangenknochen bildeten sich zwei glühende Flecken. »Ich habe an Miss Sidgwick geschrieben, und auf ihre Fürsprache hin würde das leitende Komitee für Ada und mich eine Ausnahme machen. Sofern wir uns in den nächsten zwei Wochen entscheiden.«
Der Mund des Colonels zuckte kaum wahrnehmbar. Sosehr Grace ihrer Mutter im Aussehen, im Wesen glich – zuweilen erkannte er sich im Charakter seiner Ältesten selbst wieder. Und so stolz er auch war auf seine schöne Tochter, so ertappte er sich doch oft dabei, sich vorzustellen, was Grace wohl für einen fabelhaften Burschen abgegeben hätte.
Bei diesem sorgfältig geplanten Handstreich gegen seine väterliche Autorität ging es aber nicht nur um Grace; es ging vor allem um Ada und um ihr Wohlergehen. Mir scheint, hatte Miss Sidgwick damals, nach Adas unrühmlicher Heimkehr aus London, geschrieben, Miss Ada leidet darunter, im Schatten ihrer Schwester zu stehen, die sie sich zu sehr zum Vorbild nimmt. Einige Zeit getrennt von Miss Norbury zu verbringen, am besten in einer neuen Umgebung, könnte hier meiner Auffassung nach Abhilfe schaffen und Miss Adas persönlicher Entwicklung förderlich sein.
Und
Weitere Kostenlose Bücher