Jenseits des Protokolls
Anfang der 1960er-Jahre von der Bundesrepublik gekauft wurde und der Regierung lange als Gästehaus diente. Später, Ende der 1990er Jahre und nach einer aufwendigen Umbauphase, war die Villa dann kurzzeitig das Zuhause des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder.
Christian und ich zogen gar nicht erst in Erwägung, uns andere Wohnungen oder Häuser in Berlin anzuschauen, denn keine Immobilie hätte die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen erfüllt und wir wollten nicht noch einmal derartige Umbaumaßnahmen wie in Großburgwedel erleben. So stand für uns von vornherein fest, dass wir als Familie ebenfalls wie das Ehepaar Köhler in die Pücklerstraße 14 ziehen würden. Die Villa war bereits mit Fensterscheiben aus Panzerglas gesichert, es gab eine Videoüberwachungsanlage und ein unmittelbar am Eingang mit grünem Naturstein verkleidetes Wachhaus, von dem aus Polizisten jeden, der das Grundstück betrat, ins Visier nahmen beziehungsweise kontrollierten. Überdies befand sich im Keller des Hauses eine autarke Polizeistation, die mit etwa drei Beamten ebenfalls rund um die Uhr besetzt war.
Überdies ist das Haus ganz auf die Aufgaben und Anforderungen eines Staatsoberhauptes zugeschnitten. So macht die Villa optisch durchaus etwas her. Mit ihrer weiß verputzten Fassade, den hohen Sprossenfenstern, dem roten Walmdach, der Freitreppe, dem Garten und der längeren Auffahrt mit kleinem Rasenrondell vor dem Haus erinnert sie ein wenig an die Architektur englischer Landhäuser. Im Erdgeschoss befindet sich der repräsentative Bereich, etwa 200 Quadratmeter groß, mit einer Hauswirtschaftsküche, einem Arbeitszimmer, einem Salon mit Kamin, einem Esszimmer und einem Musikzimmer, in dem ein Flügel steht.
Vielleicht liegt es daran, dass das Haus ständig von anderen Menschen bewohnt wird. Dass es mehr ein Kommen und Gehen als ein Bleiben ist, weshalb dieses Haus keine wirkliche Seele hat. Dies mag seltsam klingen, doch genau so habe ich es empfunden, als ich die Villa zum ersten Mal betrat. Trotz der großzügigen Räumlichkeiten fühlte ich mich eher belastet, die Atmosphäre bedrückte mich. Ich vermisste so etwas wie einen persönlichen Charme. Mir fehlten die Wärme und das Gefühl von Zuhause.
Für die untere Wohnung, die repräsentativen Räume, kauften wir erst einmal zwei neue beigefarbene Stoffsofas und peppten die in meinen Augen eher altmodische, aber vielleicht auch nur viel zu gediegene Einrichtung mit ein paar großen Blumenvasen und mit Kerzen auf. Wir wollten allem einen modernen Touch geben und haben so zum Beispiel von einem Hamburger Künstler ein buntes abstraktes Wandbild über die Treppe, die hinauf zum ersten Stock führt, malen lassen. Aus dem Museum für gegenstandsfreie Kunst in Otterndorf suchten wir als Leihgabe verschiedene Bilder zeitgenössischer Kunst aus, die dann verteilt im unteren Bereich hingen. Den Esstisch aus lasiertem Holz übernahmen wir von den Köhlers, ließen aber helle Hussen über die Stühle ziehen. Auch das schwarz eingerichtete Arbeitszimmer übernahm mein Mann.
Ich denke, es lag auch an der zwar großen, aber dunklen, auf mich düster wirkenden Holztreppe, die von der Empfangshalle in den ersten Stock führte, dass ich eine gewisse Beklommenheit spürte. Würden sich Leander und Linus hier überhaupt wohlfühlen?, fragte ich mich unsicher bei der ersten Besichtigung. Natürlich war alles opulent, doch eben in keiner Weise, sagen wir, warm und kuschelig. Die Villa vermittelte mir kein Gefühl von Geborgenheit, wie es unser Haus in Großburgwedel tat.
Die Wohnung in der ersten Etage ist rund 150 Quadratmeter groß und hat einen gut erhaltenen Parkettfußboden. Bevor wir einzogen, gab es dort ein Schlafzimmer mit begehbarem Kleiderschrank, eine Abstellkammer, ein weiteres Arbeitszimmer, ein Wohnzimmer, selbstverständlich ein Bad und eine Küche. Für ein allein stehendes Paar reichte das absolut aus, doch für uns als Paar mit zwei Kleinkindern plus Christians Tochter Annalena, die uns manchmal besuchen kam, war die Wohnung eher unglücklich geschnitten. Auch die großen Milchglasscheiben, die die Küche vom Wohnzimmer trennten, waren in keiner Weise kindgerecht. Überdies hatte man in der Bausubstanz krebserregende Stoffe gefunden und das Dach war so gut wie nicht isoliert und undicht. So wurde zum einen grundsaniert, aber auch umgebaut, um eine familientaugliche Wohnung zu schaffen. Wir ließen eine neue Wand ziehen, sodass aus der Abstellkammer und einem Teil des
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