Jenseits des Protokolls
bei der bestimmt einige Eltern dachten, dass es der Anschluss meines Büros sei. Doch es war meine private Nummer und ich erinnere mich noch gut an die gestotterten Sätze, wenn ich ans Telefon ging, mich mit »Wulff« meldete und daraufhin eine Mutter ganz überrascht sagte: »Ach, Sie sind das ja wirklich!«
Aber klar gab es unter den Eltern auch die anderen, die Gierigen, die Neugierigen. Leander hatte Verabredungen, da standen Mutter und Vater gemeinsam adrett gekleidet mit ihrem Jungen manchmal sogar eine halbe Stunde vor dem vereinbarten Termin vor unserer Tür in der Pücklerstraße. Ich fragte mich dann: »Müsste nicht wenigstens einer von den beiden arbeiten?«, während die sich sagten: »Schauen wir doch mal, wie die so wohnen.« Das fand ich schon zum Schmunzeln und wirklich verübeln kann ich es diesen Eltern auch nicht. Allerdings habe ich es zumeist so gehalten, dass sie im unteren, repräsentativen Teil der Villa blieben. Die Kinder konnten sich natürlich frei bewegen, im Garten und im ganzen Haus, auch in unserer oberen Wohnung. Aber gegenüber den Eltern wollte ich wenigstens dieses Minimum an Privatsphäre, das uns als Paar und Familie geblieben war, schützen.
Richtig enge Freundschaften hat Leander in der Zeit in Berlin dennoch nicht geschlossen. Ich glaube, er hat sich mit vielem einfach arrangiert, auch wenn es ihm nicht wirklich gefiel. Denn obwohl er regelmäßig Verabredungen mit anderen Jungs und Mädchen hatte, kam er doch häufiger von der Schule nach Hause und meckerte: »Das ist doof hier, ich will wieder zurück nach Großburgwedel.« Dann nagte das schlechte Gewissen an mir. War es das wirklich alles wert? Ich war ja selbst hin- und hergerissen zwischen den schönen, durchaus aufregenden Seiten des Lebens als Frau des Bundespräsidenten, aber eben auch den vielen Auflagen und Zwängen, die damit verbunden waren. Manchmal musste ich mich in solchen Momenten richtig überwinden, meinem Sohn Mut zuzusprechen. Wenn ich dann zu Leander sagte: »Warte ab, es wird schon. Es ist doch auch ganz schön hier«, kam ich mir wie eine schlechte Lügnerin vor. Denn ich konnte selbst nicht wirklich glauben, was ich da sagte.
Für Linus war es leichter. Mit seinen gut zweieinhalb Jahren war die neue Lebens- und Wohnsituation in Berlin vor allem eins: spannend! Plötzlich gab es da Polizisten mit »richtigen Pistolen und echten Handschellen«, wie mir Linus staunend erzählte. Einer davon saß in einem kleinen Wachhäuschen vor der Villa und registrierte über einen Bildschirm jeden Besucher, der sich näherte. Minutenlang konnte Linus mit großen Augen und offenem Mund vor dem Häuschen stehen und den Beamten beobachten. Und der fand das meistens lustig, diesen Knirps, der ihn anhimmelte und für den er in seiner Uniform so etwas wie ein Gott in Dunkelblau war. Zwar hatten unsere Vorgänger, das Ehepaar Köhler, auch Enkelkinder, aber die waren ja nicht tagtäglich vor Ort. Daher denke ich, dass es auch für die Polizeibeamten eine neue, schöne Erfahrung war, eine junge Familie im Haus zu erleben. Sie haben sich auch durchaus immer ein paar Minuten Zeit für Linus genommen. Wenn er an die Tür des Häuschens klopfte, machte der diensthabende Beamte auf und Linus durfte bei ihm auf dem Schoß sitzen, bekam manchmal ein Butterbrot ab und die Polizeikappe aufgesetzt, half mit stolzgeschwellter Brust, das Eingangstor für Besucher aufzuschließen, und gemeinsam schaute er dann mit dem Beamten auf den Bildschirm und kam sich furchtbar wichtig vor. Überhaupt haben diese Erlebnisse meinen kleinen Sohn äußerst schwer und nachhaltig beeindruckt. Fragen Erwachsene ihn nach seinem Berufswunsch, antwortet Linus auch jetzt noch prompt: »Ich will Polizist werden! Aber mit so richtigen Handschellen und einer Pistole.«
Für Leander waren die Sicherheitsvorkehrungen an der Pücklerstraße weniger spektakulär. Er hatte ja bereits bewusst den Umbau im und am Haus in Großburgwedel mitbekommen. Er hatte gesehen, wie die Mauer hochgezogen und die ganzen Kameras aufgestellt wurden. Und noch etwas wusste Leander mittlerweile: Dass es manchmal besser ist, den Mund zu halten, um sich von den Mitschülern keinen Dämpfer einzufangen. In Großburgwedel erzählte er einmal montags in der Schule, wie sein Stiefvater von einem großen schwarzen Auto mit Sicherheitsbeamten abgeholt wurde. Das kam bei den Mitschülern gar nicht gut an, wie mir die Lehrerin später berichtete. Da fielen bei den anderen Jungs Worte wie
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