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Jenseits des Protokolls

Jenseits des Protokolls

Titel: Jenseits des Protokolls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Wulff , Nicole Maibaum
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hat er zu bewusst all das verfolgt und zu intensiv nachgehakt. Ständig hat er mich gefragt: »Was ist hier los? Warum sind wir andauernd in den Nachrichten? Warum steht so oft etwas über uns in der Zeitung? Haben wir etwas angestellt?« Die wichtigste Frage aber war für ihn: »Mama, habt ihr gelogen?« Damit bezog er sich auf die Berichte über den Kredit für das Haus in Großburgwedel. Auch wenn Leander ganz gewiss nicht alles verstanden hat, was dazu in den Zeitungen geschrieben wurde, so kam er für sich selbst doch zu einer ganz wesentlichen Kernaussage: Es kann sein, dass wir aus dem Haus ausziehen müssen! Das war seine größte Angst und es war für mich schrecklich zu spüren, wie sehr ihn diese Sorge beschäftigte.
    Mit acht, neun Jahren ist ein Kind so wach und reflektiert in seinen Gedanken, nimmt so viele Dinge auf seine eigene Art und Weise ganz bewusst wahr und deutet sie, zieht für sich daraus Schlüsse – ich denke wirklich, das unterschätzen etliche von uns Erwachsenen. Leander haben diese ganzen Anschuldigungen, dass sein Stiefvater von anderen Politikern und in der Presse zum Beispiel als Lügner bezeichnet wurde, zutiefst getroffen. Schließlich hatte ich ihn doch dazu erzogen, dass es immer besser ist, die Wahrheit zu sagen. Meinem Sohn Leander die Umstände zu erklären, da bin ich wirklich an meine Grenzen gekommen. Es war nicht leicht, meine eigenen Emotionen im Zaun zu halten, nicht verbittert, nicht zynisch und abwertend zu klingen, sondern ihm mit ruhiger Stimme zu sagen, dass daran nichts Falsches ist, dass wir dieses Haus haben, und dass wir gewiss nicht ausziehen müssen.
    Was ich mich auch manchmal frage: Wie werden später andere Erwachsene darauf reagieren, wenn Linus und Leander sagen, dass sie der Sohn beziehungsweise der Stiefsohn von Christian Wulff sind? Werden dann abfällige Kommentare folgen? Wird es nervende Fragen geben von wegen »Ey, sag doch mal, wie war das denn damals mit eurem Haus?«. Werden sie ganz neutral eine Chance bekommen? So pathetisch es klingt: Ich wünsche es ihnen von ganzem Herzen. Meine Kinder sind mein Leben, sie können am wenigsten etwas für das Geschehene und darum hoffe ich, dass man sie auch im Nachhinein nicht zur Rechenschaft zieht.
    Linus dämmerte es gut zwei Wochen nach Christians Rücktritt, Anfang März 2012, dass das Leben in Berlin vorbei ist. Als er abends im Bett lag, fragte er mich mit einer Mischung aus Besorgnis und Neugierde: »Mama, was ist denn jetzt mit den Polizisten? Was machen die? Wo sind die jetzt?« Natürlich, der Kleine machte sich um so ganz andere Dinge Sorgen. Ihm ging es um seine Helden in Dunkelblau, die Polizisten mit richtigen Handschellen und echten Pistolen. Sein ernster Blick, als Linus mir die Fragen stellte, brachte mich zum Lachen. Ich sagte ihm, dass es den Polizisten bestimmt gut gehe und sie weiter in Berlin in ihrem Häuschen sitzen und dort arbeiten. Dann fragte Linus, was mit dem großen Haus sei, in dem wir gewohnt hatten. Und bevor ich mir eine Antwort überlegen konnte, sagte er selbst: »Ach, das Haus gehört ja Deutschland. Da ziehen jetzt andere ein, oder?« Keine Ahnung, wie er auf diese Idee kam. Aber für ihn war das eine einleuchtende Erklärung und er kuschelte sich zufrieden in seine Bettdecke. Ich beneidete ihn in diesem Moment um seine kindliche Selbstverständlichkeit, die Dinge pragmatisch zu sehen und einfach abzuhaken.
    Leander wird dafür sicher länger benötigen. Er ist unglaublich froh, wieder zurück in Großburgwedel zu sein. Es war und ist einfach sein Zuhause. Er geht wieder auf seine alte Schule, ist wieder in seiner alten Klasse, bei seiner alten Klassenlehrerin und das Wichtigste: Leander ist wieder mit seinen besten Freunden zusammen. In Berlin hatte er zwar auch Verabredungen mit tollen Mitschülerinnen und Mitschülern, aber echte Freundschaften haben sich daraus leider nicht entwickelt. Ich denke, es lag einfach auch an der gesamten, doch unnatürlichen Situation. Auch Torsten, Leanders Vater, ist wieder nach Hannover gezogen. Ich kann gar nicht sagen, wie klasse ich das finde, dass er so für seinen Sohn da ist und sich um sein Wohl sorgt.
    Etwa drei Wochen nach Christians Rücktritt, als sich endlich der Auflauf von Fotografen und Journalisten vor unserem Haus verringerte und auch die Sicherheitsbeamten des BKA und die örtliche Polizei sich stärker zurückgezogen hatte, merkte ich, dass Leander begann, sich zu entspannen. Er bewegt sich jetzt wieder ganz frei

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