Jenseits des Protokolls
da musst du einfach mitziehen, im wahrsten Sinne. Selbstverständlich habe ich darüber nachgedacht, was dies für die Kinder bedeutet. Für Linus, der sich in einer neuen Kita einleben müsste. Aber besonders für Leander, der mit seinen damals sieben Jahren gerade erst in die erste Klasse der Grundschule in Großburgwedel gekommen war. Sich gerade erst an den Schulalltag gewöhnt hatte und Freundschaften zu Mitschülern aufbaute. Auch spielte er damals erst seit einem halben Jahr begeistert Fußball beim örtlichen Verein FC Burgwedel und ich hatte ihn in der Musikschule zum Gitarrenunterricht angemeldet. Mit dem Umzug nach Berlin müsste er diese Freunde verlassen. Von einem auf den anderen Tag würden der beste Freund und die geliebten Nachbarskinder fehlen, mit denen er sich immer nachmittags zum Kicken oder Rollschuhlaufen verabredete. Stattdessen würde Leander in eine vermeintlich geschlossene Gemeinschaft, die neue Schulklasse, kommen. Er müsste sich dort erst einmal wieder einleben, die Lehrer kennenlernen und neue Freunde finden. Ich glaube, es ist viel zu leicht und oft von Erwachsenen dahingesagt, dass Kinder so etwas schon meistern werden. Bestimmt tun sie das, aber vielleicht nicht so selbstverständlich, wie wir Eltern das möglicherweise und gerne glauben.
Leander war regelrecht geschockt, als ich ihm sagte, dass wir nach Berlin gehen. Er hat fürchterlich geweint und war phasenweise völlig verzweifelt. Er wollte in Großburgwedel bleiben, auf seiner alten Schule, bei seinen Freunden. Er hat die Notwendigkeit eines Umzugs selbstverständlich überhaupt nicht verstanden. Wir führten doch ein gutes Leben und ich als seine Mutter hatte doch auch einen Job, und das sogar direkt in Großburgwedel. Zu meiner großen Erleichterung konnte ich ihm versprechen, dass sein Vater Torsten mit in die Hauptstadt ziehen würde. Das war nicht nur dahingesagt, sondern tatsächlich Torstens Vorhaben. Als selbstständiger Immobilienmakler war und ist er relativ flexibel und bereits bevor Christian überhaupt die Wahl zum Bundespräsidenten gewonnen hatte, sagte Torsten, dass er auf jeden Fall mit nach Berlin kommen würde. Und tatsächlich fand Torsten dann auch nur drei Straßen weiter von unserem Haus in der Pücklerstraße eine Wohnung. Das hat es auch für Leander leichter gemacht. Die Nähe und der regelmäßige Kontakt zu seinem Vater sind ihm sehr wichtig.
Ich bin wahnsinnig stolz auf Leander. Er hat das ganz toll gemacht, ab dem ersten Tag in Berlin. Er kam zum zweiten Halbjahr der zweiten Klasse in seine neue Grundschule . Leander ist ein sehr offener Junge, kommt schnell mit anderen Kindern in Kontakt und kann sich schnell in eine Gruppe integrieren. Dennoch haben ihm die ersten Tage und Wochen schwer zu schaffen gemacht. Es war einfach alles neu: neue Mitschüler, neue Lehrer, eine weitaus größere Schule und auch eine andere Art des Unterrichts. Trotz dieser Umstände hat sich Leander relativ schnell gut zurechtgefunden. Wahrscheinlich war es in diesem Zusammenhang auch von Vorteil, dass er mit Nachnamen »Körner« heißt, also meinen Mädchennamen trägt, und nicht »Wulff«. Ich kann mir gut vorstellen, dass dies den Umgang für die Mitschüler, aber auch für die Lehrer einfacher gemacht hat. Es stand dann eventuell nicht so stark im Vordergrund, dass Leanders Stiefvater das deutsche Staatsoberhaupt ist.
Allerdings sprach sich dies natürlich dennoch in Windeseile herum, auch unter den Eltern der Schüler, und die Reaktionen darauf waren teilweise wirklich sehr amüsant. Denn während die Kinder, Leanders Mitschüler, mit dieser Nachricht recht locker umgegangen sind und anfangs höchstens mal neugierig nachgefragt wurde: »Wie, dein Stiefvater ist der Bundespräsident? Wohnt ihr dann etwa in diesem großen Schloss?«, spalteten sich die Eltern sozusagen in zwei Lager. Zum einen waren da diejenigen, deren Kinder fragten: »Kann der Leander zum Spielen mal zu uns kommen?« oder »Darf ich mal zum Leander?«, und sich die Väter und Mütter daraufhin, wie sie mir später erzählten, stammelnd windeten. Sie wussten nicht, ob das so einfach geht, ob sie uns einfach mal anrufen und fragen können. Sie konnten. Es war mir wichtig, den Alltag meiner Kinder so normal wie möglich zu halten. Den Satz »Ich bin erst Mutter, dann First Lady«, mit dem ich in der Presse oft zitiert wurde, meinte ich genau so, wie ich ihn sagte. So stand zum Beispiel auch auf der Telefonliste von Linus’ Kita eine Handynummer,
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