Jenseits des Windes
das Mal unvollständig und kaum erkennbar. Es befindet sich auf seinem rechten Oberarm. Ich bezweifle, dass ich es fachgerecht ausgeführt habe, denn ich bin kein Priester. Vielleicht verfügt er über keine Magie. Aber bitte versuche, Cyles zu finden. Der Platz auf dem Zettel geht zur Neige. Meine Gedanken sind stets bei dir.«
Adoran senkte die Arme und faltete das Papier sorgsam zusammen. Elane fühlte sich, als hätte ihr ein Pferd in den Bauch getreten. Sie weigerte sich zu glauben, was sie gerade gehört hatte. Jäh ließ Jonneth ihre Hand los. In seinen Augen funkelten Zorn und Entsetzen gleichermaßen. Tränen stiegen ihr in die Augen. Beinahe erwartete sie, aus einem Traum zu erwachen. Die rätselhaften Worte ihres Vaters wollten keinen Sinn ergeben. Hatte die Folter ihm den Verstand geraubt? Sie senkte den Blick auf ihr linkes Handgelenk, auf dem das Magische Mal ihrer Familie prangte.
Nur Mitgliedern der königlichen Blutlinie war es erlaubt, Magie zu wirken. Das Mal, das einen Menschen dazu befähigte, wurde einem Kind im Rahmen seiner Taufe in die Haut gebrannt. Elane war das Kind Allorets, daran gab es keinen Zweifel. Weshalb bereitete Adoran dem Irrsinn nicht ein Ende und klagte Mr. Breel und Mr. Redland der Lüge und des Hochverrats an?
»Nun, ich muss den Wunsch meines Bruders akzeptieren, es ist meine Pflicht«, sagte Adoran stattdessen. Seine Frau Celesa starrte mit geweiteten Augen zu ihm auf. Sie war blass wie der Vollmond.
»Anscheinend bin ich getäuscht worden.« Adorans Stimme klang mit einem Mal wieder fest und ernst. »Elane kann nicht meine Nichte sein, denn mein Bruder sprach von einem Sohn. Das ist unerfreulich. Jemand muss nach der Entführung einen anderen Säugling in die Wiege gelegt haben. So leid es mir auch tut, aber ich kann Elane nicht mit dem Thron beerben.« Er wandte ihr den Kopf zu. »Ich hoffe, du verstehst das. Selbstverständlich darfst du hier bei Hofe bleiben, solange es dir beliebt. Aber ich kann diese Lüge nicht weiterleben.«
Elane wusste, dass ihr Onkel stets korrekt und gewissenhaft handelte, aber dass er dazu imstande sein könnte, sie zu enterben, überstieg ihre Vorstellungskraft. War er sich darüber im Klaren, was er tat? Hatte er den Verstand verloren? Es war nur ein dummer Brief! Wie konnte er wegen ein paar verblichene r Zeilen alles zerstören, wofür sie gelebt hatte? Elane starrte ihn mit offenem Mund an, unfähig, etwas zu erwidern. Ihre Knie zitterten. Diese Demütigung! Diese Kränkung! Und das vor dem versammelten Kronrat. Wie konnte er ihr das nur antun? Es war doch nur ein vergilbter alter Zettel.
Jonneth rührte sich. Er stieß ein verärgertes Knurren aus und ballte die Hände zu Fäusten. Elanes Blick glitt flüchtig zu Jaham. Auch sein Gesicht leuchtete rot vor Zorn. Elane hatte ihm und seinem Sohn die Träume geraubt. Jonneth hatte sich doch so sehr gewünscht, an ihrer Seite zu regieren. Jetzt rückte der Thron jäh in unerreichbare Ferne. Wut kochte in ihr auf. Wut auf Mr. Breel, der sie mit seinem verfluchten Brief ins Unglück gestürzt hatte. Hass auf Hauptmann Lenry, der den verlotterten Tivor Breel hierher gebracht hatte. Sie alle hatten ihre Träume auf dem Gewissen. Unter dem Tisch ballte auch sie vor Hilflosigkeit die Fäuste. Sie musste sich beherrschen, nicht laut loszuheulen wie ein Kleinkind. Quälte sich, mit der Vorgabe, gefasst zu bleiben.
Die Äußerungen und Einwände des Kronrats, man könne doch nicht die gesamte Familie auseinanderreißen und müsse Stillschweigen bewahren, bekam Elane nur noch am Rand ihres Bewusstseins mit. Das Blut in ihren Ohren rauschte so laut, dass sie kaum etwas wahrnahm. Als sich die Versammlung endlich auflöste, war Jonneth der Erste, der mit wutverzerrtem Gesicht zur Tür hinausstürmte.
Acht
Pläne
H atte es jemals eine Zeit ohne diese sengende Wut gegeben? Das schwelende, zerstörerische Gefühl im Bauch, das ihm fortwährend den Eindruck vermittelte, kochendes Wasser strömte durch seine Eingeweide, war zu einem ständigen Begleiter geworden. Gründe für seinen Zorn gab es hinreichend. Am schlimmsten wütete die Empörung über sein Schicksal, das ihn als Spielball benutzte. Sein Los, eine hässliche grinsende Fratze, die ihn aufs Übelste verlachte.
Jonneth presste die Kiefer aufeinander, bis seine Zähne schmerzten. Sein Puls pochte an den Schläfen. Die Bodenvase mit dem grauenhaften Muster zerbarst in tausend Stücke, als er mit dem Fuß dagegen trat. Das Klirren hallte
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