Jenseits des Windes
unseres Schmucks«, murmelte Mr. Breel und senkte den Kopf.
Adoran nickte, brach das behelfsmäßige Siegel und entfaltete das brüchige Dokument. Während er las, schien der Saal die Luft anzuhalten. Selbst die sonst so gesprächigen Mitglieder des Kronrats wagten es nicht, einen Kommentar abzugeben. Alle Augen richteten sich auf Adoran, der sich bemühte, ein möglichst abgeklärtes Gesicht zu machen. Doch seine Mundwinkel zuckten leicht und seine Augen glänzten. Elane saß nahe genug, um die dezenten Zeichen seiner emotionalen Erregtheit zu bemerken. Nach einer schier unendlich langen Zeit hob Adoran schließlich wieder den Blick. Er seufzte, ein Betragen, das nicht zu einem König passte.
»Die Handschrift ist eindeutig die meines Bruders. Mr. Breel ist kein Betrüger«, sagte er.
Plötzlich erwachte der Saal aus seiner Lethargie. Elanes Blut rauschte so laut in den Ohren, dass sie die Worte eines Mannes aus dem Kronrat kaum verstand.
»Nun gut, jetzt wissen wir, dass unser König damals noch gelebt hat, als wir ihn für tot erklärten. Doch was ändert diese Tatsache? Es ist ein bedauerlicher Umstand, dass er die Qualen der Folter erlitten hat. Aber halten Sie es für angebracht, die Sache an die Öffentlichkeit zu tragen?«
Der kleine, glatzköpfige Mann ereiferte sich mit ganzem Körpereinsatz. Elane hatte ihn bei den Hochzeitsfeierlichkeiten oft in der Nähe ihres Onkels gesehen. Sie hielt ihn für einen Speichellecker. Jaham, der nach eigenen Angaben das bedeutendste Mitglied des Kronrats war, hatte bislang beharrlich geschwiegen, was ihm nicht ähnlich sah. Alles in allem beunruhigte sie dieses aus dem Ruder laufende Treffen. Wenn sie doch all die Zusammenhänge besser verstehen würde.
Adoran atmete einmal tief ein und aus, als müsste er Kraft sammeln, um zu sprechen. »Wir werden es an die Öffentlichkeit tragen müssen«, sagte er. »Denn der Brief ist viel mehr als der bloße Beweis, dass mein Bruder das Attentat überlebt hat. Ich bin es dem Volk schuldig, den Inhalt kundzutun. Es ist meine Pflicht als König, die Wahrheit zu offenbaren.« Er räusperte sich und senkte den Blick wieder auf den Zettel. Elanes Herz hämmerte heftig gegen ihre Brust. Eine düstere Vorahnung breitete sich in ihr aus wie Gift. Sie kannte den Tonfall in der Stimme ihres Onkels. Etwas musste ihn zutiefst erschüttert haben. Was verflixt noch mal stand auf dem Papier?
»Geliebter Bruder«, las Adoran vor. Seine Stimme zitterte ein wenig. »Falls du das hinterhältige Attentat auf mich und unsere Familie überlebt haben solltest, bist du es nun, der an meiner Stelle regiert. Ich bin sicher, du erfüllst dein Amt mit Freude und Pflichtbewusstsein. Ich weiß, es ist unwahrscheinlich, dass dich der Brief je erreichen wird, doch ich muss alles tun, um zur Aufklärung der Vorkommnisse beizutragen. Weißt du noch, als ich nach der strapaziösen Geburt des Kindes scherzhaft zu dir gesagt habe: »Ein schwerer Anfang ergibt ein gutes Ende?« Ich muss mich korrigieren, denn ich sehe nicht mehr allzu optimistisch in die Zukunft.
Die Firunen haben mich entführt, weil sie etwas von mir wissen wollen. Es hatte so kommen müssen, doch ich habe die Gefahr nie wahrhaben wollen. Ich habe Jahre darauf verwendet, eine geheime Formel zu entwickeln, die die Magie unserer Rasse ins Unermessliche steigern könnte. Doch in jedem System gibt es Lücken, und so hat es auch unter meinen Anhängern eine undichte Stelle gegeben. Freilich wird mein Mund für immer verschlossen bleiben. Sie können mich quälen, ich nehme das Geheimnis mit ins Grab. Und auch jetzt werde ich Stillschweigen bewahren, denn diese Formel hat in Anbetracht der jüngsten Ereignisse vollkommen an Bedeutung verloren. Zudem wäre es zu gefährlich, sie niederzuschreiben. Ich verfasse die Zeilen aus einem anderen Grund. Ich bitte dich, meinen Sohn zu suchen, falls er noch lebt. Ich habe ihn damals in Sicherheit bringen lassen, bevor die Rebellen das private Schlafgemach meiner Frau stürmen konnten. Ich weiß, dass es Tradition ist, weder den Namen noch das Geschlecht eines Kindes vor der offiziellen Taufzeremonie bekannt zu geben, und erst recht ist es ein Frevel, das Kind zuvor mit dem Magischen Mal zu kennzeichnen, doch die damalige Situation hat mich dazu gezwungen. Ich habe meinem Sohn den Namen Cyles gegeben. Kurz bevor die Aufständischen die Tür zum Schlafzimmer aufbrachen, konnte ich ihn in aller Eile mit dem Magischen Mal unserer Familie kennzeichnen, jedoch ist
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