Jenseits des Windes
schuften?« Obwohl Jonneth um die Hartherzigkeit seines Vaters wusste, versetzte sie ihn dennoch immer wieder in Erstaunen.
»Sie sollten froh sein, überhaupt eine Anstellung gefunden zu haben. Wir profitieren alle davon.« Ein bittersüßes Lächeln huschte über Jahams Züge. Jonneth reagierte nicht mehr darauf. Er starrte aus dem Fenster der Kutsche in den grauen Herbsthimmel. Er hatte so sehr gehofft, dass sich sein Leben grundlegend ändern würde, wenn sie Adoran und die unsäglichen Mitwisser Borey und Vilonor erst aus dem Weg geschafft hatten, doch überhaupt nichts hatte sich geändert. Und wenn, dann allenfalls zum Schlechten. War er es nicht, der Cyles und seinen derzeitigen Aufenthaltsort ausfindig gemacht hatte? Jaham hätte stolz auf ihn sein müssen, stattdessen brachte er ihm ebenso wenig Anerkennung entgegen wie eh und je. Jonneth hatte dafür gesorgt, dass man den ahnungslosen Neffen Adorans auf die Beerdigung eingeladen hatte. Es war so einfach gewesen, ihn und Cyles zugleich zu vergiften. Er lächelte grimmig. Wenn Adoran geahnt hätte, wie nahe ihm sein Neffe an jenem Nachmittag gewesen war ... Jonneth’ Lächeln erstarb, denn er erinnerte sich an Jahams Desinteresse an seinem Geniestreich. Er bezweifelte, dass das Wort Danke im königlichen Vokabular überhaupt existierte. Sein Vater war geradezu fanatisch in seine Pläne verliebt, Yel zu unterwerfen. Jonneth wäre nicht überrascht, wenn er plante, die Sklaverei einzuführen. Wie dumm er war! Er gefährdete seine Krone, und damit auch Jonneth’ Anspruch auf selbige. Doch er wagte nicht, seinem herrischen Vater seine Bedenken mitzuteilen.
Den Rest der Fahrt verharrten sie in Schweigen. Als die Kutsche vor dem Haupttor zum Palast zum Stehen kam, halfen ihnen Diener, aus der Kutsche auszusteigen. Jemand kam die Treppe zum Palasteingang hinuntergestürzt. Stanley McGill, einer der ehemals zahlreichen Berater König Adorans. Jetzt trug er die Kleidung eines einfachen Hausdieners, denn Jaham hatte alle Berater seines Vorgängers vor die Wahl gestellt, ob sie entlassen werden wollten oder ob sie sich mit einem anderen Posten begnügen würden. Es war eine äußerst großzügige Geste seines Vaters. Jaham verzichtete auf externe Berater, lediglich Jonneth war es erlaubt, Vorschläge zu unterbreiten. Für gewöhnlich gab Jaham jedoch nichts auf seine Meinung. Der Rat der Obersten hatte heftig gegen die Entlassungen protestiert, doch das letzte Wort blieb traditionsgemäß dem König vorbehalten. Glücklicherweise hatte Adorans Witwe ihnen weitere Unannehmlichkeiten erspart. Die kränkliche Frau hatte freiwillig auf ihr Erbe verzichtet. Sie war nach dem Tod ihres Mannes zurück zu ihrer Familie auf die Insel Nag gezogen, weil das Klima ihrer Gesundheit angeblich zuträglicher war. Für eine kinderlose verwitwete Königin gab es keinen Platz bei Hofe. Sie war schlau genug, das selbst zu erkennen.
McGill raffte die Hosen und tippelte so schnell ihn seine kleinen Füße trugen die Stufen hinunter. Wie hatte König Adoran den Zwerg bloß ernst nehmen können?
Jonneth warf seinem Vater einen Seitenblick zu. Er wirkte genervt und verdrehte die Augen. »Weshalb beeilen Sie sich so, McGill? Sind Sie denn schon fertig mit den Aufgaben, die ich Ihnen aufgetragen habe?«
McGill erreichte das Ende der Treppe und kam vor dem König zum Stehen. Er verbeugte sich tief. »Ich habe in allen Räumen gekehrt und Ihre Waffensammlung sortiert, Eure Majestät.«
Jaham nickte. In seinem Gesicht las er unverhohlene Ablehnung. »Und weshalb hetzen Sie dann so?«
McGills Blick glitt zu Jonneth herüber. Schnell verbeugte er sich ein weiteres Mal. Jonneth zeigte keinerlei Reaktion.
»Eure Majestät, es wartet jemand auf Sie im Kaminzimmer. Er sagt, es sei dringend.«
»So? Wer?«
McGill holte tief Luft, er war noch außer Atem von seinem Spurt. »Er sagte, sein Name sei Stromer. Mehr wollte er nicht verraten. Ein windiger Geselle ist das! Aber er zeigte mir ein von Ihnen unterzeichnetes Dokument, das besagt, dass er den Palast betreten dürfe.«
»Ganz recht. Das darf er.« Jaham bedeutete McGill, dass er wegtreten sollte. Jonneth folgte seinem Vater in den Palast hinein. Er kannte diesen Stromer nicht, zumindest hatte er nie von ihm gehört, aber er war sicher, dass es sich dabei ohnehin um einen Decknamen handelte. Sein Vater weihte ihn nicht in all seine Pläne ein, aber er wusste, dass er in der ganzen Stadt Spione stationiert hatte, die ihm allerhand Klatsch und
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