Jenseits des Windes
suchte er vergeblich, selbst der massive Eichenholzschreibtisch war sauber und aufgeräumt, nur eine Schreibfeder und ein Blatt Papier lagen auf der Tischplatte.
Sie nahmen auf zwei Sesseln nahe dem Kamin Platz. Es lag nur kalte Asche darin. Eine winzige Wandleuchte spendete spärliches Licht. Leroys Atmung ging schnell und flach. Er hoffte, dass man ihm seine Nervosität nicht allzu sehr anmerkte. Vielleicht wollte ihn Oberst Ripps lediglich für eine gelungene Begleitung des Trauerzugs loben? Doch Ripps Miene sah zu ernst aus. Seine grauen Augen fixierten Leroy, sodass er sich fühlte wie ein kleines Kind, das etwas angestellt hatte. Der Oberst presste die Lippen zu einem schmalen Strich aufeinander. Er fuhr sich mit der Hand durch das grau melierte Haar und holte tief Luft.
»Mr. ... Wie lautet Ihr korrekter Name?«, fragte er in ruhigem Ton. Seine Stimme klang tief und fest. Leroy wusste aus Erfahrung, dass sie hervorragend dazu geeignet war, Befehle quer über den Exerzierplatz zu brüllen.
»Leroy, einfach nur Leroy, Sir.« Er erschrak vor seiner dünnen Stimme und räusperte sich.
»Sie müssen doch einen Familiennamen haben.«
»Nein, Sir. Ich bin bei Firunen aufgewachsen, in der Wildnis.« Heißes Blut schoss ihm in den Kopf. Er hasste es, wenn jemand ihn darauf ansprach. Und noch peinlicher war es vor einem Vorgesetzten.
Oberst Ripps Augen weiteten sich ein wenig und ein überraschter Ausdruck huschte über sein Gesicht. »So? Das ist interessant. Zufällig wollte ich Sie heute dazu befragen, wie Sie zu den Firunen stehen.«
Eine Schwindelattacke packte Leroy. Er hoffte, dass er sich nicht würde übergeben müssen. Er fühlte sich elend. Sein Kopf glühte. »Meine Anstellung in der Armee mag Ihnen unter den gegebenen Umständen merkwürdig erscheinen, Sir, doch ich versichere Ihnen, dass ich keinerlei Kontakt zu meiner Adoptivfamilie pflege. Ich bin Valane, durch und durch.«
Der Oberst lehnte sich im Sessel nach vorn. Seine Augen funkelten, als müsste er Zorn unterdrücken. Leroy glaubte, in Ohnmacht zu fallen, beherrschte sich aber nach Kräften.
Ripps’ kalter Blick schien ihn zu durchbohren. »Es ist keine Frage von Rassenzugehörigkeit, sondern von Sympathie. Empfinden Sie Sympathie für die Firunen?«
Worauf wollte er hinaus? Leroy fand keine Antwort. »Nein, das tue ich nicht, Sir«, sagte er. Eine Lüge. Hoffentlich bemerkte es der Oberst nicht. Leroy hatte jahrelang diese Fassade aufrechterhalten. Sie durfte jetzt nicht brechen.
»Sie fragen sich sicher, weshalb ich Ihnen diese Frage stelle«, fuhr Ripps fort. »Nun, ich will es Ihnen sagen. Einer unserer Soldaten ist fahnenflüchtig. Ein Firune. Kjoren. Es überrascht mich nicht, doch ich hätte ihn für klüger eingeschätzt. Immerhin verbüßt er die Strafe für seinen verräterischen Vater.« Der Oberst schüttelte den Kopf. »Wie dem auch sei, ich möchte von Ihnen wissen, wie Sie zu dem Deserteur standen. Kannten Sie ihn gut?«
Ein Schwall heißen Blutes stieg Leroy in den Kopf. Er presste die Fäuste so fest zusammen, dass seine Nägel in die Handflächen schnitten. »Nein, ich habe ihn nicht gekannt, Sir. Mit seinem Verschwinden habe ich nichts zu tun.« Panik stieg wegen der dreisten Lüge auf. Er hasste sich dafür, je ein Wort mit Kjoren gesprochen zu haben. Es gefährdete seine Karriere. Er fühlte sich wie ein Tier, das man in eine Ecke drängte. Er würde sich mit allen Mitteln verteidigen müssen.
Der Oberst erhob sich von seinem Sessel und ging zum Fenster hinüber. »Mir sind von mehreren Ihrer Kameraden andere Aussagen zu Ohren gekommen. Sie gaben an, Sie hätten sich mehr als einmal mit dem Flüchtigen unterhalten. In Anbetracht der Tatsache, dass Sie aus einem Firunenhaus stammen, sehe ich mich gezwungen, der Sache auf den Grund zu gehen.« Er drehte sich um und bedachte Leroy mit einem ernsten Blick. »Morgen früh nach Sonnenaufgang erwarte ich Sie im Saal der Gerechtigkeit. Ich werde Ihre komplette Truppe antanzen lassen.« Er senkte die Stimme. »Ich kann keine Lügner in meiner Armee gebrauchen. Erscheinen Sie, ansonsten stelle ich Ihnen Ihre Entlassungspapiere aus. Wegtreten!« Der Befehl hallte laut und deutlich durch den Raum, sodass Leroy auf seinem Sessel zusammenfuhr. Mit zittrigen Knien erhob er sich und verließ das Büro.
Er fühlte sich hundeelend. Man durfte ihn nicht entlassen, nicht, bevor er es wenigstens bis zum Sergeant en oder Leutnant gebracht hatte. Die Schande würde er nicht ertragen.
Weitere Kostenlose Bücher