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Jenseits des Windes

Jenseits des Windes

Titel: Jenseits des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Kühnemann
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zitterten. Er wusste längst nicht mehr, wo er sich befand und wie er zurück zur Straße finden sollte. Aber das war ihm egal. Sie waren entkommen. Niemand schien ihnen gefolgt zu sein.

Siebzehn
    Eine unverhoffte Wendung
    E lane ekelte sich vor sich selbst. Niemals zuvor hatte sie ein derart verschmutztes und zerrissenes Kleid getragen, und erst recht nicht über einen so langen Zeitraum. Der Saum war schlammverkrustet, ihre Halbschuhe ebenso. Sie stank vor Schweiß und Dreck und ihre trockene Zunge klebte wie ein pelziges Tuch in ihrem Mund. Einen Tag lang irrten sie nun schon ziellos umher. Der Wald war einer offenen Graslandschaft gewichen, feuchte Sümpfe und Mückenschwärme machten jeden Schritt zur Qual. Sie waren nach Nordwesten gegangen, und schon bald hatten sie in der Ferne die Hauptstraße gesehen, doch sie hatten es vorgezogen, im offenen Gelände zu bleiben. Leroy wirkte völlig verstört. Er sprach wenig, und wenn, dann jammerte oder trauerte er um seinen Vater. Er war überzeugt, dass die Soldaten ihn erschossen hatten. Elane gab sich alle Mühe, ihn zu beruhigen. Sicherlich hätten sie ihn nicht umgebracht, sondern nur ausgefragt, hatte sie ihm immer wieder gesagt, um ihn zu beruhigen. Auch wenn es Elane schwerfiel, ihre eigenen Worte zu glauben, ergaben sie nach längerem Grübeln einen Sinn. Weshalb hätten die Soldaten Kjoren sonst abführen sollen? Wenn es ihnen darum gegangen wäre, sie zu töten, hätten sie es sofort getan. Wahrscheinlich beschatteten sie die Hütte schon seit Längerem. Eine Falle, wie einer von ihnen im Laufe ihrer Diskussionen vermutet hatte. Man hatte Leroy dort bereits erwartet. Wenn es den Soldaten gelungen sein sollte, Leroys Vater die sensiblen Informationen über das Tagebuch des Königs zu entlocken, oder wenn sie ihr Gespräch sogar belauscht hatten, dann steckten die Firunen jetzt wahrlich in noch größeren Schwierigkeiten als zuvor. Zumindest hatten sie Leroy nicht in ihre Gewalt bringen können. Ein kleiner Triumph in einer ausweglosen Situation ...
    Am Nachmittag des zweiten Tages stießen sie auf einen verlassenen Bretterverschlag, in dem sie ein paar saubere Kleider und Trockenfleisch fanden. Es musste eine von den vielen Hütten sein, die die Kundschafter von Lyn errichtet hatten, um sich auf ihren langen Reisen mit dem Nötigsten zu versorgen. Sie boten ihnen ein Dach über dem Kopf, frische Kleidung und etwas zu essen. Regelmäßig füllten Diener des Königs die Vorräte nach.
    Die Hütten lagen zumeist gut versteckt mitten in der Wildnis, weit entfernt von den Handelsrouten. Nur die Kundschafter kannten ihre Standorte. Leroy hatte sie zufällig entdeckt, gut getarnt zwischen zwei Brombeergebüschen, die einen Teil der Wände überwuchert hatten.
    Es grenzte an ein Wunder, dass sie ohne Kjoren so lange in der Einöde überlebt hatten. Er war ein weit besserer Führer als Leroy, zudem ein guter Jäger und ein ausgezeichneter Fährtenleser.
    Elane öffnete eine einfache Holzkiste. Ein leicht muffiger Geruch stieg ihr in die Nase, vermutlich hatte über einen langen Zeitraum kein Kundschafter mehr von dieser Hütte Gebrauch gemacht. Die Kleidung, die sie fand, war nicht neu, aber sauber. Sie bestand aus grobem ungefärbtem Leinenstoff. Das Outfit eines Kundschafters, der unerkannt bleiben wollte. Die Boten des Königs legten Wert auf Unauffälligkeit und Diskretion, denn ihre Fracht – zumeist Dokumente und andere Schriftstücke – war oftmals wertvoll. Elane hing die Sachen zum Lüften in den Wind. Leroy sammelte derweil ein wenig Holz, das allerdings feucht war, und sich nur schwer entzünden ließ, doch sie schafften es letztlich doch, ein kleines Feuer versteckt hinter dem dichten Buschwerk zu entzünden. Schweigend aßen sie von dem Trockenfleisch. Es war ein karges, aber dennoch schmackhafteres Mahl als die Beeren und Wurzeln der letzten Tage. Sie legten sich früh schlafen und genossen seit Tagen zum ersten Mal wieder das Gefühl von vier Wänden umgeben zu sein, auch wenn der Wind durch die Ritzen zog und sie auf dem nackten Holzboden lagen.
    »Ob es Kjoren gut geht?«, fragte sie leise in die Stille, doch sie erhielt keine Antwort.
    Früh am nächsten Morgen packte Elane ihre wenigen Habseligkeiten zusammen, verstaute den Rest des Trockenfleischs in ihren Taschen und schnürte ihre Schuhe zum Aufbruch. Leroy schien es indes keineswegs eilig zu haben. Er trödelte, wirkte müde, sein Gesicht war blasser als zuvor. Es schien, als hätte er jeden

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