Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jenseits des Windes

Jenseits des Windes

Titel: Jenseits des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadine Kühnemann
Vom Netzwerk:
Bitterkeit drang aus jedem Wort.
    »Wer hat sie ausprobiert?«, fragte Elane.
    Ein bittersüßes Lächeln huschte über die Züge des alten Mannes. »Immerhin fliegen die Ungetüme doch, oder etwa nicht?«
    »Sie sprechen von den Luftschiffen?« Elane hatte sich nach vorn gelehnt, die Ellenbogen auf den Knien, den Kopf in die Hände gestützt.
    »Ja, das tue ich«, sagte sein Vater mit ernster Miene. »Die Fähigkeit zu fliegen war von je her ein Privileg der Bewohner von Yel, uns, den Firunen. Dann kamen die Valanen mit ihrem Bluteisen. Sie schürften das gewöhnliche Erz in den Minen unserer Wälder und verwandelten es in dieses kalte, todbringende Metall, das ihr Bluteisen nennt. Das ist ihre einzige Kunst – die Magie des Eisens. Jedoch neideten sie uns unsere Magie.« Er schüttelte den Kopf, als müsste er dunkle Gedanken abschütteln. »Alloret war es gelungen, die Flugmagie zu stehlen. Er schrieb die Formel in ein geheimes Tagebuch, das wussten wir von unseren Spitzeln im Palast. Als wir angriffen, ging es nicht vordergründig um das Blutbad, sondern darum das Tagebuch zu finden. Leider kamen wir zu spät. Kurz nach der Geburt seines Sohnes hat Alloret die Formel in ein Kloster nach West-Fenn bringen lassen, wo sie wohl bis heute liegt. Oder auch nicht. Vielleicht wollte der König sie eines Tages seinem Sohn vererben.«
    »Dann hätte man den König doch gar nicht erst …«
    »Ich weiß. Erst vor Kurzem erfuhr ich, dass die Formel in dem Kloster liegen soll. Damals hatte man sich darauf beschränkt, den König zu foltern, um ihn dazu zu bewegen, die Formel erneut aufzuschreiben. Doch alle Mühe war vergebens.« Er blickte schuldbewusst in die Runde. »Ich war von Anfang an dagegen, dass sie Gefangene machen.«
    »Woher wissen Sie, dass das Buch jetzt in einem Kloster liegt?«, fragte Kjoren. Er klang wie ein Richter beim Verhör.
    Bjart senkte die Stimme. »Die Mitglieder des Geheimbundes haben eine Möglichkeit gefunden, über große Entfernungen hinweg miteinander in Kontakt zu treten, und damit meine ich nicht die gewöhnliche Post, sondern eine Form der Tiermagie. Manch kleines Biest eignet sich hervorragend als Überbringer von Nachrichten, insbesondere das Federvieh. Obwohl ich nicht mehr aktiv mitwirke, erfahre ich auf diese Weise dennoch, was im Untergrund vor sich geht. Jedenfalls hat eine Gruppe Firunen aus West-Fenn herausgefunden, wo sich das Tagebuch befindet. Die Befreier verfügen seit Kurzem sogar über Spitzel im Kloster.«
    Schweigen hing in der Luft und machte sie stickig.
    Leroys Kopf schwirrte. Er wusste nicht, was er mit all diesen Informationen anfangen sollte. Sie nutzten ihm nichts. Aber dennoch fühlte er sich seltsam erleichtert.
    »Weiß denn sonst noch jemand von dem Tagebuch?«, fragte Kjoren. Leroy sah ihn an. Er konnte weder Bestürzung noch sonst irgendeine Emotion in seinem Gesicht ablesen. Abgebrühter Kerl!
    »Nein, das denke ich nicht«, sagte sein Vater. »Jedenfalls hoffe ich das. Nicht auszudenken, was dieser Jaham mit der Formel anstellen würde, sollte er davon erfahren.«
    »Ich danke Ihnen wirklich für Ihren Mut, uns das alles zu erzählen«, sagte Elane so einfühlsam, wie es nur einer Frau gelingen konnte. Der alte Mann nickte betreten. »Haben Sie Leroys – ich meine natürlich Cyles’ – Geburtsurkunde verwahrt?«, fügte Elane an.
    »Nein. So ein Dokument habe ich nie bekommen und wenn, dann hätte ich es wohl gleich verbrannt, damit niemand ihn mir wegnehmen könnte.«
    Elane stieß ein verärgertes Schnauben aus. »Das macht die ganze Sache natürlich unnötig schwierig für uns.«
    »Welche Sache?« Leroy verbrannte sie mit einem zornigen Blick. Das Funkeln in ihren Augen verhieß nichts Gutes.
    Elane presste die Luft geräuschvoll zwischen den Zähnen hervor. »Wenn wir deine Geburtsurkunde hätten, könnten wir in das Kloster gehen und die Herausgabe der Formel erbitten«, sagte sie mit einem selbstzufriedenen Grinsen im Gesicht. »Immerhin bist du der einzige Erbe von König Alloret. Du hast einen Anspruch darauf.«
    Was bildete sich diese Göre eigentlich ein? Ungeachtet seines ansonsten guten Benehmens keifte Leroy sie an. »Das ist vollkommen ausgeschlossen! Du spinnst wohl!«
    »Leroy«, donnerte sein Vater. Jetzt klang er wieder nach dem strengen Mann, der ihn erzogen hatte. »Sie hat doch recht«, fuhr er in ruhigerem Ton fort. Leroy sah eine Träne in seinem Augenwinkel aufblitzen. »Hast du eine Vorstellung davon, in welcher Gefahr das

Weitere Kostenlose Bücher