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Jenseits von Afrika

Jenseits von Afrika

Titel: Jenseits von Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Blixen
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Unschuld. Der Urteilsspruch konnte auf Mord, Totschlag oder grobe Körperverletzung lauten. Der Vorsitzende erinnerte den Gerichtshof daran, daß der Grad des Verbrechens nach der Absicht der beteiligten Personen, nicht nach dem Ergebnis zu bemessen sei. Welches waren die Absichten und die innere Einstellung der am Falle Kitosch beteiligten Personen?
    Um die Absichten und die innere Einstellung des Siedlers zu ermitteln, verhörten ihn die Herren des Gerichts einen ganzen Tag viele Stunden lang. Sie versuchten, sich ein Bild davon zu machen, was vorgefallen war, und förderten jede Kleinigkeit zutage, deren sie habhaft werden konnten. Im Protokoll steht geschrieben, daß Kitosch, als der Siedler ihn zu sich rief, in einer Entfernung von drei Schritten vor ihn hintrat. Diese unbedeutende Feststellung des Berichts ist von großer Wichtigkeit. Man sieht sie vor sich stehen, den Weißen und den Schwarzen, auf drei Schritt Abstand.
    Aber von da an wird im weiteren Verlaufe der Geschichte die Harmonie des Bildes gestört; die Gestalt des Siedlers bekommt Flecken und schrumpft zusammen. Da hilft kein Mittel. Sie wird zu einer Staffage der großen Landschaft, sie verliert ihre Substanz, sie sieht aus wie eine Papierfigur und wird vom Zugwind der ihr unbekannten Freiheit des Handelns umgeblasen.
    Der Siedler sagte aus, er habe Kitosch zunächst gefragt, wer ihm die Erlaubnis gegeben habe, seine braune Stute zu reiten; diese Frage habe er vierzig- oder fünfzigmal wiederholt. Gleichzeitig gab er zu, daß überhaupt kein Mensch Kitosch diese Erlaubnis gegeben haben konnte. Das war der Anfang zu seinem Verderben. In England wäre er nie in die Lage gekommen, eine Frage vierzig- oder fünfzigmal zu wiederholen; er wäre längst vor dem vierzigsten Mal irgendeinem Widerstand begegnet. Hier in Afrika gab es Menschen, an die er die gleiche Frage fünfzigmal hinschreien konnte, und diese Möglichkeit wurde ihm zum Verhängnis. Schließlich sagte Kitosch, er sei kein Dieb, und der Siedler erklärte, die Unverschämtheit dieser Antwort sei es vor allem gewesen, was ihn veranlaßt habe, den Burschen zu züchtigen.
    An diesem Punkte weist der Bericht wieder einen belanglosen, aber eindrucksvollen Zug auf. Es heißt, während der Züchtigung seien zwei Europäer, die als Freunde des Siedlers bezeichnet werden, zu ihm zu Besuch gekommen. Sie sahen zehn oder fünfzehn Minuten lang zu und gingen wieder davon.
    Nach der Auspeitschung konnte der Siedler Kitosch nicht laufenlassen. Der Kikuju war ihm wohl zum Symbol seiner Herrschaft geworden, und wahrscheinlich dämmerte ihm zu dieser Zeit die Erkenntnis auf, daß diese Stunde der Macht die einzige seines Lebens bleiben und die Gelegenheit, über das Schicksal eines anderen zu verfügen, nie wiederkehren würde.
    Spätabends fesselte er Kitosch mit einem Riemen und sperrte ihn in seinen Schuppen ein. Als das Gericht ihn fragte, warum er das getan habe, gab er eine sinnlose Antwort; er behauptete, er habe verhindern wollen, daß so ein Kerl auf der Farm herumlief. Nach dem Abendessen ging er nochmals in den Schuppen und fand Kitosch bewußtlos am Boden, ein Stück weit von der Stelle entfernt, wo er ihn gefesselt hatte. Er rief nach seinem Koch, einem Baganda, und fesselte den Jungen mit dessen Hilfe noch fester als das erste Mal und band ihn mit den Händen an einen Balken hinter ihm und mit dem rechten Bein an den Balken vor ihm. Dann verließ er den Schuppen und sperrte die Tür zu, ging aber nach einer halben Stunde wieder hin, holte seinen Koch und das Küchentoto und ließ sie in den Schuppen hinein. Hierauf ging er zu Bett, und das nächste, woran er sich erinnern konnte, war, daß das Toto aus dem Schuppen kam und ihm erzählte, Kitosch sei gestorben.
    Die Herren vom Gericht blieben eingedenk des Wortes, daß die Schwere eines Verbrechens in der Absicht liege, und suchten nach einer Absicht. Sie ermittelten bis ins einzelne den Vorgang der Züchtigung und alles, was auf sie folgte, und wenn man die Akten liest, glaubt man zu hören, wie sie die Köpfe schüttelten.
    Welches war aber die Absicht und innere Einstellung von Kitosch? Als man dieser Frage näher zu Leibe ging, ergab sich ein völlig anderes Bild. Kitosch hatte eine Absicht, und am Ende fiel sie schwer in die Waagschale des Urteils. Man kann sagen, durch seine Absicht und innere Einstellung hat der Afrikaner noch im Grabe den Europäer gerettet.
    Kitosch hatte nicht viel Gelegenheit, seine Absicht zum Ausdruck zu bringen. Er

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