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Jenseits von Afrika

Jenseits von Afrika

Titel: Jenseits von Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Blixen
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war im Schuppen eingesperrt; was er zu sagen hatte, beschränkte sich auf eine einzige, sehr schlichte Kundgebung. Die Nachtwache sagte aus, er habe die ganze Nacht geschrien. Aber das stimmt nicht, denn um ein Uhr hat er mit dem Toto gesprochen, das bei ihm im Schuppen war. Er bedeutete dem Kinde, daß es ihn laut anschreien müsse, weil er vom Auspeitschen taub geworden sei. Um ein Uhr bat er das Toto, ihm die Füße loszubinden, und erklärte ihm, er könne ja ohnehin nicht davonlaufen. Als das Toto seine Bitte erfüllt hatte, sagte Kitosch, er wolle sterben. Um vier Uhr, erzählte das Kind, sagte er noch mal, er wolle sterben. Eine Weile später warf er sich herum, schrie »ich bin tot« und starb.
    Drei Ärzte statteten im Prozeß ein Gutachten ab.
    Der Bezirksarzt, der die Leichenbesichtigung vollzog, erklärte, der Tod sei durch die Verletzungen und Wunden eingetreten, die er am Körper festgestellt habe. Er glaube nicht, daß sofortige ärztliche Hilfe Kitosch hätte am Leben erhalten können.
    Die beiden Ärzte aus Nairobi, die die Verteidigung zuzog, waren anderer Ansicht.
    Die Züchtigung allein, meinten sie, habe nicht hingereicht, den Tod zu verursachen. Es sei noch ein wichtiger Faktor hinzugetreten, der nicht übersehen werden dürfe: der Wille, zu sterben. Hierüber, erklärte der erste Arzt, könne er als Kenner urteilen, denn er lebe seit fünfundzwanzig Jahren im Lande und sei mit der Mentalität der Schwarzen vertraut. Viele medizinische Sachverständige könnten ihm Fälle bestätigen, in denen der Wunsch, zu sterben, bei Schwarzen tatsächlich den Tod zur Folge gehabt habe. Im vorliegenden Falle liege die Sache besonders klar, da ja Kitosch selbst die Absicht, zu sterben, ausgesprochen habe.
    Der zweite Arzt pflichtete ihm darin bei. Es sei sehr wahrscheinlich, fuhr er dann fort, daß, wenn Kitosch nicht diese Haltung eingenommen hätte, er nicht gestorben wäre. Wenn er beispielsweise etwas gegessen hätte, dann hätte er nicht den Mut verloren – Hunger setze bekanntlich den Mut herab. Er fügte hinzu, die Wunde an der Lippe brauche nicht von einem Schlag herzurühren, sie könne auch ein Biß sein, den sich der Junge selbst aus Schmerz zugefügt habe.
    Der Doktor war ferner der Ansicht, Kitosch habe seinen Entschluß nicht vor neun Uhr gefaßt, denn um diese Zeit habe er anscheinend versucht zu entkommen. Er sei ja auch nicht vor neun Uhr gestorben. Da er beim Fluchtversuch ertappt und wieder gefesselt worden sei, könne die Tatsache, daß er sich als Gefangener fühlte, meinte der Doktor, auf seinen Gemütszustand mit eingewirkt haben.
    Die beiden Ärzte aus Nairobi faßten ihr Urteil über den Fall zusammen. Der Tod des Kitosch, meinten sie, sei durch die Züchtigung, durch Hunger und durch den Wunsch, zu sterben, verursacht, wobei das Hauptgewicht auf die letzte Ursache zu legen sei. Der Wunsch, zu sterben, räumten sie ein, könne sich allerdings infolge der Wirkungen der Züchtigung eingestellt haben.
    Nach diesem Gutachten der Ärzte galt der Fall bei Gericht als Beispiel für die sogenannte »Todeswunsch-Theorie«. Der Bezirksarzt, der einzige, der Kitoschs Leiche gesehen hatte, verwarf die Theorie und führte als Beispiel Krebspatienten aus seiner Praxis an, die den Wunsch gehabt hätten, zu sterben, und nicht gestorben seien. Diese Patienten waren allerdings Europäer.
    Das Urteil des Gerichts lautete auf grobe Körperverletzung. Dasselbe Urteil wurde über die mitangeklagten Schwarzen ausgesprochen, doch wurde das Zugeständnis gemacht, daß man die beiden, die auf Befehl ihres Herrn, eines Europäers, gehandelt hätten, gerechterweise nicht einsperren könne – der Richter verurteilte den Siedler zu zwei Jahren Kerker, die Schwarzen zu je einem Tag.
    Wenn man diesen Fall überliest, erscheint es einem merkwürdig, ja beschämend, daß ein Europäer in Afrika nicht die Macht hat, einen Afrikaner aus dem Dasein hinauszubefördern. Das Land gehört ihm, und was man ihm auch antut, wenn er geht, so geht er aus eigenem freiem Willen, weil er nicht bleiben will. Wer ist verantwortlich für das, was in einem Hause geschieht? Der, dem es gehört, der es geerbt hat.
    Dieser starke Sinn für Eigentum verleiht der Gestalt Kitoschs, mit seinem festen Willen, zu sterben, so fern sie uns auch durch die Jahre gerückt ist, eine eigenartige Schönheit. In ihr verkörpert sich die Ungreifbarkeit aller wilden Geschöpfe, die in der Stunde der Not eingedenk sind einer Zuflucht, die ihnen irgendwo

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