Jenseits von Afrika
ängstigte sie. Ich war, glaube ich, gegen diese Gefahren eine Art Schutzengel oder Maskotte der Expedition.
Sechs Monate vor Ausbruch des Krieges war ich auf der Ausreise nach Afrika auf dem gleichen Dampfer mit General von Lettow-Vorbeck gereist, der jetzt der Oberkommandierende der deutschen Streitkräfte in Ostafrika war. Ich merkte ihm an, daß ihm eine heldenhafte Laufbahn bevorstand, und wir wurden unterwegs gute Freunde. Als wir in Mombasa zusammen Mittag aßen – er reiste weiter nach Tanganjika, ich mußte landeinwärts –, schenkte er mir seine Photographie in Uniform zu Pferde mit der Unterschrift:
»Das Paradies der Erde
Liegt auf dem Rücken der Pferde,
In der Gesundheit des Leibes
Und am Herzen des Weibes.«
Farah, der mir bis Aden entgegengefahren war und den General gesehen und gemerkt hatte, daß er mir wohlgesinnt war, nahm diese Photographie mit auf Safari und hütete sie bei seinem Gelde und den Schlüsseln der Expedition, um sie den deutschen Soldaten vorzuzeigen, falls wir in Gefangenschaft gerieten. Er betrachtete sie als großen Wertgegenstand.
Schön waren die Abende im Massaireservat, wenn wir nach Sonnenuntergang mit unserer Kolonne den Fluß oder Wassertümpel erreichten, an dem wir lagern wollten. Die Steppe mit ihren Dornbäumen lag schon im Dunkel, aber die Luft über unseren Köpfen leuchtete noch klar. Im Westen blinkte ein vereinzelter Stern, der in der Nacht groß und strahlend werden sollte, kaum erst sichtbar auf, wie ein silberner Punkt in zitronengelbem Topas. Die Luft drang kalt in die Lungen, das lange Gras war triefend naß, und die Kräuter darin strömten ihren würzigen, belebenden Duft aus. Bald würden ringsum die Zikaden ihr Lied anstimmen. Das Gras war ich, die fernen, unsichtbaren Berge waren ich, ich strich mit dem sanften Nachtwind durchs Dorngeäst.
Nach drei Monaten wurde ich plötzlich nach Hause geschickt. Als allmählich alles systematisch organisiert wurde und aus Europa reguläre Truppen eintrafen, fand man meine Transportkolonne wohl etwas irregulär. Wir zogen schweren Herzens heim, vorüber an unseren vertrauten Lagerplätzen.
Diese Safari lebte noch lange im Gedächtnis der Farm. Ich habe später noch viele Safaris mitgemacht, aber – ich weiß nicht, warum –, vielleicht weil wir im Dienste des Staates gleichsam in amtlicher Würde ausgezogen waren oder weil die kriegerische Atmosphäre sie umwehte –, diese Expedition war allen, die dabei waren, besonders ans Herz gewachsen. Meine Gefährten von damals betrachteten sich als eine Art Safari-Aristokratie.
Viele Jahre später besuchten sie mich noch, um über die Safari zu plaudern und dieses und jenes unserer Abenteuer nochmals zu bereden.
Das Zahlensystem im Suaheli
Zu der Zeit, als ich noch ein Neuling in Afrika war, sollte mir ein zaghafter junger schwedischer Melker die Zahlen auf suaheli beibringen. Nun hat das Suaheliwort für neun für schwedische Ohren einen anrüchigen Klang, so daß er es nicht aussprechen wollte. Er zählte »sieben, acht …« und hielt inne, blickte zur Seite und sagte: »Neun gibt es im Suaheli nicht.« – »Wollen Sie damit sagen«, fragte ich, »daß Sie nur bis acht zählen können?« – »O nein«, warf er schnell ein, »es gibt zehn, elf, zwölf und so weiter, nur neun gibt es nicht.« – »Wie geht denn das?« fragte ich erstaunt und überlegte: »Was tut man dann, wenn man bei neunzehn angekommen ist?« – »Neunzehn gibt es auch nicht«, sagte er errötend, aber unbeirrt, »ebenso neunzig oder neunhundert« – diese Worte werden im Suaheli aus dem Zahlwort neun gebildet –, »aber sonst gibt es alle Zahlen wie bei uns.«
Dies Zahlensystem hat mir lange zu denken gegeben und mich in einer Beziehung sehr gefreut. Endlich ein Volk, dachte ich, das Originalität des Geistes und Mut genug besitzt, um mit der Pedanterie der Zahlenordnung zu brechen.
Eins, zwei und drei sind die einzigen aufeinanderfolgenden Primzahlen, acht und zehn wären also die einzigen aufeinanderfolgenden geraden Zahlen. Es konnte nun jemand kommen und das Dasein der Neun damit beweisen wollen, daß es doch möglich sein müßte, die Drei mit sich selbst zu multiplizieren. Aber warum muß das sein? Wenn es keine Wurzel von zwei gibt, braucht es doch auch kein Quadrat von drei zu geben. Wenn man die Quersumme einer Zahl zieht, bis sie einstellig wird, macht es am Ende keinen Unterschied, wenn die Neun und die Vielfachen der Neun von vornherein fehlen, so daß man also
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