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Jenseits von Afrika

Jenseits von Afrika

Titel: Jenseits von Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Blixen
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Krankenhaus etwas Wunderbares war. Langsam, ganz langsam wickelte er die Binden vom Knie bis zur Ferse ab: darunter kamen zwei vollkommen heile Beine zum Vorschein, nur von blassen grauen Narben gezeichnet.
    Als Kamante mein Staunen und meine Freude mit seiner großartigen Ruhe ausgekostet hatte, trat er mit der zweiten Überraschung hervor: er sei jetzt ein Christ. »Ich bin wie du«, sagte er. Er fügte hinzu, ich könne ihm vielleicht in Anbetracht unserer gemeinsamen Seligkeit eine Rupie schenken, da doch Christus heute auferstanden sei.
    Er ging nach Hause, um die Seinen zu besuchen. Seine Mutter war eine Witwe und lebte auf einem entlegenen Teil der Farm. Nach dem, was sie mir später erzählte, scheint er an diesem Tage von seiner sonstigen Gewohnheit abgewichen zu sein und ihr über die Eindrücke bei den fremden Leuten und die Aufnahme im Hospital sein Herz ausgeschüttet zu haben. Aber nach dem Besuch bei der Mutter kam er wieder in mein Haus, als sei es selbstverständlich, daß er jetzt dahin gehöre. Er blieb von da in meinem Dienst, bis ich das Land verließ, beinahe zwölf Jahre.
    Als ich ihn kennenlernte, sah Kamante aus, als wäre er sechs Jahre alt; er hatte aber einen Bruder, der etwa acht sein mochte, und beide Brüder behaupteten, Kamante sei der ältere von ihnen: ich glaube, er ist durch seine lange Krankheit im Wachstum zurückgeblieben und war also wohl neun Jahre alt. Er wuchs nun heran, wirkte aber doch immer zwergenhaft oder irgendwie mißgestalt, obgleich man nicht direkt mit dem Finger auf die Stelle deuten konnte, die diesen Eindruck erweckte. Sein eckiges Gesicht rundete sich mit der Zeit, er ging und bewegte sich normal; ich selbst fand ihn nicht übel aussehend, aber es kann sein, daß ich ihn ein wenig mit den Augen eines Schöpfers betrachtete. Seine Beine blieben lebenslänglich dünn wie Stecken. Eine phantastische Figur war er immer, halb spaßig, halb diabolisch; er hätte ohne viel Änderungen von einer Dachrinne von Notre-Dame in Paris herabglotzen können. Er hatte etwas Grelles und Lebendiges an sich; in einem Gemälde hätte er einen ungewöhnlich farbigen Flecken abgegeben; und so verlieh er meinem Hauswesen einen malerischen Zug. Er war niemals ganz richtig im Kopfe, oder wenigstens war er das, was bei einem Weißen äußerst wunderlich genannt worden wäre.
    Er war ein nachdenklicher Mensch. Vielleicht hatten die langen Leidensjahre, die er ausgestanden hatte, in ihm die Neigung entwickelt, den Dingen nachzusinnen und über alles, was er sah, seine eigene Meinung zu bilden. Er blieb sein Leben lang ein Einzelgänger. Selbst wenn er dasselbe tat wie andere, tat er es auf eine besondere Art.
    Ich hatte für die Leute der Farm eine Abendschule, in der ein Eingeborener den Unterricht versah. Ich bekam die Lehrer von den Missionsstationen und habe im Laufe der Zeit katholische, anglikanische und schottische Lehrer gehabt. Die Erziehung der Eingeborenen richtet sich nämlich streng nach religiösen Grundsätzen; soviel ich weiß, ist außer der Bibel und den Gesangbüchern kein Buch in die Suahelisprache übersetzt. Ich habe immer den Plan erwogen, Äsops Fabeln für die Eingeborenen zu übersetzen, habe aber, solange ich in Afrika war, nicht die Zeit dazu gefunden. Doch war mir die Schule einer der liebsten Aufenthalte auf der Farm, ich habe viele schöne Abendstunden in dem langen alten Wellblechschuppen verbracht, in dem die Stunden abgehalten wurden.
    Kamante schloß sich gern an, wollte sich aber nicht zu den anderen Kindern auf die Bank setzen, sondern blieb etwas abseits stehen, als wollte er die Ohren willentlich gegen den Unterricht verschließen und sich nur lustig machen über die Einfalt der anderen, die sich brav hinführen ließen und zuhörten. Insgeheim aber sah ich ihn in meiner Küche aus dem Gedächtnis ganz langsam und ungeschlacht die Buchstaben und Figuren nachmalen, die er an der Schultafel gesehen hatte. Ich glaube nicht, daß er mit den anderen hätte Schritt halten können, wenn er gewollt hätte; etwas in ihm war früh im Leben verknotet oder versperrt, so daß es für ihn jetzt gewissermaßen normal war, unnormal zu sein. Er war sich selbst seiner Abgesondertheit wohl bewußt, mit der anmaßenden Seelengröße des echten Zwerges, der merkt, daß er anders ist als die übrige Welt, und darum die Welt für buckelig hält.
    In Geldsachen war Kamante gerissen, er gab wenig aus und schloß mit den anderen Kikuju recht schlaue Geschäfte in Ziegen ab; er

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