Jenseits von Afrika
Abwesenheit hatte der siebenjährige Küchenjunge Kabero, ein Sohn meines alten Squatters und nächsten Nachbarn auf der Farm, des alten Fuchses Kaninu, in der Küche eine Gasterei veranstaltet. Als spätabends die Gesellschaft ausgelassen wurde, hatte Kabero sich das Gewehr seines Herrn geholt und den wilden Buben der Steppe und der Schambas den weißen Mann vorgemimt. Belknap war ein eifriger Geflügelzüchter, er mästete Kapaune und Poularden und kaufte auf dem Markt in Nairobi rassereine Küken auf. Um Habichte und Marder zu verscheuchen, hielt er auf seiner Veranda eine Schrotflinte bereit. Als wir später den Fall durchsprachen, behauptete Belknap, das Gewehr sei nicht geladen gewesen, die Kinder hätten die Patronen gefunden und es selbst geladen; ich glaube aber, daß ihn da sein Gedächtnis täuscht, denn sie hätten das kaum zustande gebracht, selbst wenn sie gewollt hätten, und es ist viel wahrscheinlicher, daß die Flinte diesmal geladen auf der Veranda stand. Jedenfalls war die Schrotladung im Lauf, als Kabero in kindlichem Überschwang und Taumel der Begeisterung mitten in die Schar seiner Gäste zielte und den Drücker abzog. Der Schuß dröhnte durchs Haus. Drei von den Kindern waren leicht verletzt und flohen entsetzt aus der Küche. Zwei waren noch drinnen, schwer verwundet oder tot. Belknap beschloß seinen Bericht mit einem langen Fluch auf den afrikanischen Kontinent und alles, was darin geschah.
Während er erzählte, waren meine Hausboys herausgetreten, dann waren sie ganz leise wieder hineingegangen und hatten ein Windlicht gebracht. Wir holten Verbandszeug und Desinfektionsmittel. Es wäre Zeitvergeudung gewesen, den Wagen in Gang zu bringen; wir rannten, so schnell wir konnten, durch den Wald zu Belknaps Haus. Das schwankende Windlicht warf unsere Schatten bald auf diese, bald auf jene Seite des engen Weges. Als wir weiterliefen, hörten wir mehrere Male kurze, rauhe, gepreßte Schreie eines Kindes in Todesangst.
Die Küchentüre flog auf, als ob der Tod, der eingebrochen war, wieder davoneilte und den Raum verwüstet hinter sich ließe wie einen Hühnerstall, in dem der Marder gehaust hat. Auf dem Tisch brannte eine Lampe und qualmte zur Decke empor; in dem engen Raum hing noch der Geruch von Pulverdampf. Die ganze Küche war mit Blut bespritzt, meine Füße glitten dann aus. Windlichter lassen sich schlecht an eine bestimmte Stelle hinhalten, aber sie erhellen ganz grell ein ganzes Zimmer oder eine Situation: ich erinnere mich an Dinge, die ich beim Schein eines Windlichtes gesehen habe, besser als an andere.
Ich kannte die Kinder, die der Schuß getroffen hatte, von der Steppe der Farm, auf der sie die elterlichen Schafe weideten. Wamai, Jogonas Sohn, ein lebensvoller kleiner Bub, der eine Zeitlang meine Schule besucht hatte, lag am Boden zwischen der Tür und dem Tisch. Er war nicht tot, aber nicht weit davon, und bewußtlos, obwohl er noch leise stöhnte. Wir hoben ihn zur Seite, um uns rühren zu können. Das Kind, das geschrien hatte, war Wanyangerri, der Jüngste von der Festgesellschaft. Er saß vornübergeneigt vor der Lampe, das Blut rann wie Wasser aus einer Röhre von seinem Gesicht, wenn man es noch so nennen konnte, denn er hatte anscheinend direkt vor dem Gewehr gestanden, als es los ging, und der ganze Unterkiefer war ihm abgeschossen. Er hatte seine Arme seitlich von sich gestreckt und bewegte sie auf und nieder wie Pumpenschwengel, so wie Hühner flattern, nachdem ihnen der Kopf abgeschlagen ist.
Wenn einem plötzlich ein derartiges Unglück vor Augen gestellt wird, denkt man nur an eine Rettung, das Heilmittel der Jäger und Tierhalter: sofort, so rasch wie möglich, koste es, was es wolle, zu töten. Und doch weiß man sofort, daß man nicht töten darf, und der Kopf schwindelt einem vor Grauen. Ich faßte mit den Händen den Kopf des Kindes und drückte ihn in meiner Verzweiflung, und als hätte ich es wirklich getötet, hörte es im selben Augenblick auf zu schreien; die Arme sanken schlaff herab, es saß still da, wie hypnotisiert. Ich weiß nun, wie einem zumute ist, wenn man durch Handauflegen heilt.
Es ist eine schwierige Sache, einen Patienten zu verbinden, dem das halbe Gesicht abgeschossen ist; bei dem Versuch, das Blut zu stillen, läuft man Gefahr, ihn zu ersticken. Ich mußte den kleinen Buben Farah auf den Schoß setzen, damit Farah das Köpfchen in der rechten Stellung halten konnte, denn wenn es vornüberfiel, konnte ich den Verband nicht anlegen,
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