Jenseits von Afrika
seiner Trance, als wir ihn hineintrugen, eine entsetzliche Angst erfaßte ihn, er wollte nicht dableiben, klammerte sich an mich und an jeden, der in seine Nähe kam, schrie und weinte ganz verzweifelt. Der alte Goamann beschwichtigte ihn schließlich mit einer Einspritzung, sah mich über seine Brille an und sagte: »Der lebt.« Ich überließ die beiden aufgebahrten Kinder, das tote und das lebendige, ihrem verschiedenartigen Schicksal.
Belknap, der uns auf seinem Motorrad gefolgt war – hauptsächlich um uns beim Ankurbeln des Motors zu helfen, falls er unterwegs versagte –, war der Ansicht, daß wir den Unfall der Polizei melden müßten. Wir fuhren also in die Stadt zur Polizeiwache in der River Road und gerieten dabei mitten in das Nachtleben von Nairobi. Als wir kamen, war kein weißer Polizeioffizier da, und wir warteten draußen im Wagen, solange man ihn holte. Die Straße war eine Allee von hohen Eukalyptusbäumen, dem Baum aller Pionierstädte des Hochlandes; nachts verbreiten sie mit ihren langen schmalen Blättern einen seltsamen, angenehmen Duft und haben im Licht der Straßenlaternen ein merkwürdiges Aussehen. Eine große, dralle junge Suahelifrau wurde von mehreren schwarzen Schutzleuten zur Polizeiwache gebracht, sie wehrte sich nach Kräften, zerkratzte ihnen die Gesichter und kreischte wie eine Sau. Etliche Raufbolde, die noch auf den Stufen der Wache sich aufs neue in die Haare zu geraten drohten, wurden eingeliefert, und ein anscheinend frisch ertappter Dieb kam die Straße herunter mit einem ganzen Gefolge von Nachtschwärmern, die seine Partei oder die Partei der Polizisten ergriffen und den Fall lärmend beredeten. Schließlich erschien ein junger Polizeioffizier, vermutlich geradewegs von einer Lustbarkeit. Belknap kam bei ihm nicht auf seine Kosten, denn er nahm seinen Bericht mit sachlichem Interesse und staunenswerter Geschwindigkeit auf, verfiel dann in tiefes Sinnen, ließ den Bleistift langsam über die Seite gleiten und steckte ihn schließlich, anscheinend befriedigt, wieder in die Tasche. Die Nachtluft ging kalt. Endlich konnten wir wieder heimfahren.
Am nächsten Morgen, als ich noch im Bett lag, spürte ich an der konzentrierten Stille vor dem Hause, daß da viele Menschen versammelt waren. Ich wußte, wer es war: die alten Männer der Farm hockten da auf den Fliesen, schmatzend, schnupfend, spuckend und wispernd. Ich wußte auch, was sie wollten: sie waren gekommen, mir zu sagen, daß sie ein Kyama zu halten wünschten über den Fall des nächtlichen Schusses und des Todes der Kinder.
Ein Kyama ist eine Versammlung der Ältesten einer Farm, die von der Regierung Befugnis hat, örtliche Zwistigkeiten zwischen den Squattern zu schlichten. Die Mitglieder eines Kyama treten im Falle eines Verbrechens oder Unfalls zusammen und bebrüten das Geschehene wochenlang bei Hammelfleisch, Reden und Klagen. Ich wußte, daß die Alten nun die ganze Sache mit mir durchsprechen wollten und daß sie möglichst versuchen würden, mich in ihren Gerichtshof zu berufen, damit ich das letzte Urteil fällen sollte. Mir war in diesem Augenblick nicht danach zumute, in eine endlose Diskussion der nächtlichen Tragödie gezogen zu werden: ich ließ mein Pony holen, um auszureiten.
Als ich aus dem Hause trat, fand ich, wie erwartet, den ganzen Kreis der Ältesten zur Linken bei den Gesindehütten vereint. Mit Rücksicht auf ihre Würde als Gerichtshof taten sie, als sähen sie mich nicht, bis ihnen klar wurde, daß ich fortwollte. Nun humpelten sie auf ihren alten Beinen in größter Hast herbei und fuchtelten mit den Armen nach mir. Ich winkte ihnen einen Gruß zu und ritt davon.
Der Ritt in die Wildnis
Ich ritt ins Massaireservat. Um dahin zu kommen, mußte ich über den Fluß, dann war ich nach einer Viertelstunde im Wildschutzgebiet. Ich hatte lange Zeit gebraucht, bis ich von der Farm aus eine Stelle fand, wo ich den Fluß zu Pferde überqueren konnte: der Abstieg war felsig und die Böschung am anderen Ufer sehr steil, aber war man einmal drüben – dann jauchzte das beglückte Herz.
Hundert Meilen weit konnte man frei über die Steppe und offene wellige Ebenen reiten, da gab’s keine Zäune, keine Gräben, keine Straßen, keine menschliche Siedlung außer den Massaidörfern – und auch die waren das halbe Jahr verlassen, wenn die großen Wanderer mit Volk und Vieh auf andere Weiden zogen. Niederes Dorngestrüpp war gleichmäßig über die Ebene verstreut, und lange tiefe Täler
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