Jenseits von Afrika
Liebling der Wanderer, und höher hinauf, unter dem Lichtstrom der Milchstraße, Alpha und Beta im Kentauren. Im Südwesten blinkt Sirius, einer der Großen des Himmels, und der weise Kanopus, und im Westen über den zarten, kaum geschweiften Umrissen der Ngongberge das strahlende Dreigestirn der Edelsteine: Rigel, Beteigeuze und Bellatrix. Zuletzt wendet er sich nach Norden, denn nach Norden kehren wir am Ende wieder zurück, und stößt da auf den Großen Bären selbst, der jetzt freilich dank der himmlischen Perspektive friedlich auf dem Kopfe steht; das ist so ein echter Bärenspaß, der freut den nordischen Auswanderer.
Menschen, die nachts im Schlafe träumen, kennen ein Glück, das die Tageswelt nicht gewährt, eine stille Verzückung, ein Schweben der Seele, das wie Honig auf der Zunge ist. Und sie wissen auch, daß die Wonne der Träume das Gefühl der grenzenlosen Freiheit ist. Es ist nicht die Freiheit des Tyrannen, der der Welt seinen Willen aufdrängt, sondern die Freiheit des Künstlers, der keinen Willen hat, der frei von Willen ist. Die Freude des wahren Träumers besteht nicht im Inhalt des Traumes, sondern in etwas anderem: darin, daß sich alles ohne sein Zutun ereignet und seiner Einwirkung völlig entzogen ist. Große Landschaften erschaffen sich selbst, weite herrliche Ausblicke, schwellende und zarte Farben, Straßen, Häuser, die er nie gesehen, von denen er nie gehört hat. Fremde Menschen treten auf und sind Freunde oder Feinde, obgleich der Träumende nie etwas mit ihnen zu schaffen gehabt hat. Die Vorstellungen des Fliegens und Dahinjagens kehren in Träumen immer wieder, sie sind nicht minder berauschend. Erinnert man sich ihrer bei Tage, dann sind sie freilich matt und sinnlos, weil sie zu einem anderen Dasein gehören: kaum aber legt man sich nieder, so wird der Strom wieder eingeschaltet, und das Wunderbare kehrt ins Gedächtnis zurück. Und immer umfängt den Träumer das Gefühl der unermeßlichen Freiheit und durchströmt ihn wie Luft und Licht als überirdische Seligkeit. Er ist ein Auserwählter, er ist der eine, der nichts tun muß, zu dessen Reichtum und Glück alle Dinge sich zusammenfinden: die Könige zu Tharsis werden Gaben bringen. Er nimmt teil an einer großen Schlacht oder einem Fest und staunt, daß er mitten darinnen ist, indes er den Vorzug genießt, still dazuliegen. Erst wenn sich das Bewußtsein der Freiheit zu verlieren beginnt, wenn die Vorstellung des Müssens sich der Welt bemächtigt, wenn Eile oder Anstrengung sich einstellen, ein Brief zu schreiben, ein Zug zu erreichen ist, wenn man sich mühen muß, die Pferde im Traum in Galopp zu bringen, die Gewehre abzufeuern, dann sinkt der Traum von seiner Höhe herab und wird zum Alpdruck, dem ärmlichsten und gemeinsten unter den Träumen.
Wenn etwas in der wachen Welt dem Traumzustand nahekommt, so ist es eine große Stadt, in der man niemanden kennt, oder die afrikanische Nacht. Auch da ist unermeßliche Freiheit, auch da geschehen ringsum Dinge, bilden sich Schicksale; überall wird etwas getan, und doch geht es einen nichts an.
Kaum war die Sonne untergegangen, so füllte sich die Luft mit Fledermäusen, die lautlos umherflitzten wie Autos auf Asphalt; auch eine Nachtschwalbe schoß vorüber. Sie ist es, die sich zuweilen auf der Straße niedersetzt, daß ihre Augen vor den Scheinwerfern des Autos rot aufglühen, bevor sie im letzten Augenblick, dicht vor den Rädern, senkrecht emporschnellt. Die kleinen Sprunghasen sind unterwegs und regen sich auf ihre Art, plötzlich sich hinhockend und aufspringend im rhythmischen Wechsel wie winzige Känguruhs. Die Zikade singt ihren endlosen Sang im langen Gras, Gerüche rieseln über die Erde, und Sternschnuppen rieseln über den Himmel wie Tränen über eine Wange. Wir sind der Auserwählte, für den alles geschieht. Die Könige zu Tharsis werden Gaben bringen.
Ein paar Meilen tiefer im Massaireservat wechseln jetzt die Zebras ihre Weide; sie wandern wie helle Flecken über die graue Steppe; die Büffel grasen an den langen Hängen der Berge. Junge Leute von meiner Farm kamen vorüber; zu zweien oder dreien schritten sie wie schmale schwarze Schatten hintereinander über die Wiese. Sie waren frei und zogen auf eigene Faust los, sie waren nicht für mich unterwegs, es ging mich nichts an. Sie betonten das noch eigens; ihr Schritt wurde lässiger, als sie meine brennende Zigarette vor dem Hause bemerkten, sie grüßten, ohne stehenzubleiben.
»Jambo Msabu.«
»Jambo
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