Jenseits von Afrika
Kopf gezogen. Von Zeit zu Zeit kamen winselnde und wimmernde Töne darunter hervor wie von einem Hunde, den, des Jaulens müde, nur eben noch sein Elend am Leben erhält.
Die Alten wollten die Beratung mit dem Fall des verwundeten Kindes Wanyangerri beginnen, weil er ihnen Gelegenheit zu endlosem Gerede gegeben hätte. Wie hoch würde der Schadenersatz sein, wenn Wanyangerri tot wäre? Oder wenn er verstümmelt wäre? Wenn er die Sprache verloren hätte? Farah erklärte in meinem Namen, daß ich darüber nicht verhandeln würde, bevor ich in Nairobi gewesen wäre und den Arzt des Krankenhauses gesprochen hätte. Sie schluckten den bitteren Bissen und legten sich ihre Argumente für den nächsten Fall zurecht.
Es sei Aufgabe des Kyama, tat ich ihnen durch Farah kund, den Fall rasch abzutun und nicht den Rest ihres Lebens darüber zu brüten. Denn es sei klar, daß hier kein Mord, sondern ein Unfall geschehen sei.
Das Kyama ehrte meine Rede durch aufmerksames Gehör, aber kaum war sie beendet, wurde der Widerspruch laut.
»Msabu, wir wissen nichts«, sagten sie. »Aber wir sehen, daß du auch nicht genug weißt, und wir verstehen nur wenig von dem, was du uns sagst. Kaninus Sohn hat den Schuß abgefeuert. Wie wäre er sonst der einzige, der nicht getroffen wurde? Willst du mehr davon wissen, so wird Mauge es dir sagen. Sein Sohn war dabei, ihm ist ein Ohr abgeschossen worden.«
Mauge war einer der reichsten Squatter, gewissermaßen Kaninus Rivale auf der Farm. Er war stattlich anzuschauen, und seine Worte hatten Gewicht, obwohl er leise sprach und von Zeit zu Zeit innehalten mußte, um zu denken. »Msabu«, sagte er, »mein Sohn hat mir berichtet: Alle Buben hielten einer nach dem anderen das Gewehr in der Hand und richteten es auf Kabero. Aber er wollte ihnen nicht erklären, wie man damit schießt, er wollte es ihnen durchaus nicht erklären. Schließlich nahm er das Gewehr zurück, und im selben Augenblick schoß es, es verwundete alle Kinder und tötete Wamai, Jogonas Sohn. So und nicht anders hat es sich zugetragen.«
»Das habe ich schon gewußt«, sagte ich, »und das nennt man einen bösen Zufall oder ein Unglück. Geradeso hätte ich den Schuß aus meinem Hause abfeuern können – oder du, Mauge, aus deinem.«
Diese Worte erregten die Versammlung mächtig. Alles blickte auf Mauge, der sehr betreten dreinschaute. Dann sprachen sie eine Weile untereinander, ganz leise im Flüsterton. Schließlich griffen sie die Beratung wieder auf. »Msabu«, sagten sie, »dieses Mal verstehen wir nicht ein Wort von dem, was du sagst. Wir können nur vermuten, daß du eine Kugelbüchse im Sinn hast, da du selbst so gut mit der Büchse schießt, aber nicht so gut mit der Schrotflinte. Wäre es eine Kugelbüchse gewesen, dann hättest du ganz recht. Aber mit einer Schrotflinte kann kein Mensch von deinem Haus oder von Mauges Haus bis hinunter zum Hause von Bwana Menanya schießen und Leute töten, die in dem Hause sind.«
Nach einer kurzen Pause sagte ich: »Jedermann weiß jetzt, daß Kaninus Sohn den Schuß abgegeben hat. Kaninu wird Jogona eine Anzahl Schafe geben, um den Schaden auszugleichen. Aber jedermann weiß auch, daß Kaninus Sohn kein böses Kind war und Wamai nicht töten wollte, und darum wird Kaninu nicht so viele Schafe hergeben, als wenn es der Fall gewesen wäre.«
Darauf erwiderte ein Mann namens Ereri. Er war mit der Zivilisation in engere Berührung gekommen als die anderen, denn er hatte sieben Jahre im Gefängnis gesessen.
»Msabu«, sagte er, »du meinst, Kaninus Sohn sei nicht böse, und darum werde Kaninu nicht sehr viele Schafe bezahlen. Aber wenn sein Sohn Wamai hätte töten wollen und also ein böses Kind gewesen wäre, würde das für Kaninu gut sein? Würde er sich so darüber freuen, daß er gern viel mehr Schafe hergeben würde?«
»Ereri«, sagte ich, »du weißt, daß Kaninu seinen Sohn verloren hat. Du gehst selbst zur Schule und weißt, daß der Junge in der Schule klug war. Wenn er auch in allem übrigen so gut war, dann ist es schlimm für Kaninu, daß er ihn verloren hat.«
Nun trat eine lange Pause ein; kein Laut kam aus dem Kreise. Schließlich stieß Kaninu, als hätte er sich plötzlich auf ein vergessenes Leid oder eine versäumte Pflicht besonnen, einen langen Jammerton aus.
»Memsahib«, sagte Farah, »laß jetzt diese Kikuju die Zahl nennen, die sie im Sinne haben.« Er sprach auf kisuaheli zu mir, damit die Versammlung ihn verstehen sollte, und versetzte sie damit in
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