Jenseits von Afrika
ohne mehr Lebenszeichen von sich zu geben als drei Zecken auf einem Schaf. Ich hatte kein Verständnis für ihre Klage, denn wie die Dinge auch liegen mochten: sie hatten sich um das tote Kind bei Lebzeiten nicht gekümmert, und mir tat Jogona leid, denn er hatte sich bei dem Kyama gut benommen und trauerte, wie mir schien, um Wamai. Als ich Jogona vernehmen wollte, zitterte und stöhnte er nur, so daß es unmöglich war, etwas aus ihm herauszubringen, und wir vorderhand nicht weiterkamen.
Nach zwei Tagen aber erschien Jogona wieder, frühmorgens, als ich an meiner Maschine saß, und bat mich, seine Aussagen über seine Beziehungen zu dem toten Kinde und dessen Familie aufzuschreiben. Er wollte den Bericht vor den Bezirkskommissar in Dagoretti bringen. Jogonas schlichte Art hatte etwas Eindrucksvolles, weil er alles so stark erlebte und ganz frei von Eitelkeit war. Offenbar bedeutete ihm sein Entschluß etwas ganz Großes, keineswegs Ungefährliches, an das er mit Scheu heranging.
Ich schrieb seine Aussagen für ihn nieder. Es dauerte lange Zeit, denn der Bericht umfaßte Ereignisse, die mehr als sechs Jahre zurücklagen und außerdem recht verwickelt waren. Jogona mußte sich beim Erzählen oft unterbrechen und alles wieder genau durchdenken oder zurückgreifen und sich verbessern. Währenddessen hielt er meist seinen Kopf mit beiden Händen und versetzte ihm zuweilen einen heftigen Klaps, gleichsam um die Begebenheiten aus ihm hervorzuschütteln. Einmal lehnte er sein Gesicht gegen die Wand, wie es die Kikujuweiber tun, wenn sie ihre Kinder zur Welt bringen.
Ich machte einen Durchschlag seines Berichtes, den ich heute noch besitze. Es war außerordentlich schwer, den Zusammenhang zu verfolgen, er enthielt eine Menge verwickelter Verhältnisse und nebensächliche Einzelheiten. Ich fand es nicht verwunderlich, daß Jogona Mühe hatte, sich auf alles zu besinnen, ich staunte eher, daß er sich überhaupt noch an die Tatsachen erinnerte. Der Anfang lautete:
»Zu der Zeit, als Waweru Wamai von Nyeri im Sterben lag – ›nataka kufa‹, zu sterben wünschte, sagt man auf kisuaheli –, hatte er zwei Frauen. Die eine Frau hatte drei Töchter, nach Wawerus Tod heiratete sie einen anderen Mann. Die andere Frau hatte Waweru noch nicht ganz bezahlt, er schuldete ihrem Vater für sie zwei Ziegen. Diese Frau verhob sich an einer Ladung Brennholz und hatte eine Fehlgeburt, niemand wußte, ob sie noch mal Kinder bekommen würde …«
In dieser Weise ging die Geschichte fort und führte den Leser durch das dichte Gestrüpp der Lebenszustände und -beziehungen der Kikuju:
»Dieses Weib hatte ein kleines Kind namens Wamai. Das war zu derselben Zeit krank, und die Leute meinten, es habe Fleckfieber. Waweru hatte seine Frau und ihr Kind sehr gern, und als er im Sterben lag, war er sehr bekümmert, weil er nicht wußte, was aus ihr werden würde, wenn er selbst tot wäre. Darum schickte er nach seinem Freunde Jogona Kanyagga, der nicht weit entfernt lebte. Jogona Kanyagga schuldete Waweru damals drei Schillinge für ein Paar Schuhe. Waweru schlug nun vor, sie sollten einen Vertrag machen …«
Der Vertrag lief darauf hinaus, daß Jogona seines sterbenden Freundes Weib und Kind zu sich nehmen und dafür dem Vater der Frau die zwei Ziegen geben sollte, die er ihm von der Kaufsumme noch schuldig war. Von da an wurde der Bericht zu einem Verzeichnis der Ausgaben, die Jogona infolge der Adoption des Kindes Wamai auf sich genommen hatte. Er hatte eine »ungeheuer gute Medizin« für Wamai gekauft, als er krank war, kurz nachdem er ihn zu sich genommen hatte. Ein andermal hatte er ihm beim indischen Händler Reis gekauft, weil er bei Mais nicht gut gedieh. Einmal hatte er fünf Rupien an einen benachbarten weißen Farmer zahlen müssen, weil der behauptete, Wamai habe einen seiner Truthähne in den Teich gejagt. Diese Summe baren Geldes, die er wohl unter großen Schwierigkeiten aufgebracht hatte, muß auf Jogona einen tiefen Eindruck gemacht haben, denn er kam wiederholt auf sie zurück. Aus Jogonas Verhalten ging hervor, daß er inzwischen ganz vergessen hatte, daß das Kind, das er jetzt verloren hatte, nicht sein Kind war. Die Ankunft und der Anspruch der Leute aus Nyeri hatten ihn in mehr als einer Hinsicht erschüttert. Ganz schlichten Menschen liegt es anscheinend nahe, Kinder anzunehmen und für sie wie für eigene zu empfinden; auch die weichherzigen europäischen Proletarier denken nicht anders.
Als Jogona endlich mit
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