Jenseits von Afrika
peinlich, sehr peinlich, so am Pranger erhöht zu werden. Ich wäre dem Geschick gern entronnen. Und doch kommen noch Jahre später Ereignisse im Leben, bei denen man sich bei dem Gedanken ertappt: Muß ich mir das gefallen lassen? Ich, die ich eine eherne Schlange war?
Als ich zur Farm zurückritt, traf ich beim Überqueren des Flusses in der Furt mit einigen von Kaninus Söhnen zusammen, drei jungen Männern und einem Buben. Sie trugen Speere und kamen eilig herüber. Als ich sie ansprach und nach ihrem Bruder Kabero fragte, hielten sie mit trauriger Miene und gesenkten Blickes im Waten inne und antworteten leise. Kabero, sagten sie, sei nicht heimgekehrt, und seit er gestern abend davongelaufen sei, habe man nichts mehr von ihm gehört. Sie glaubten, daß er tot sei. Entweder habe er sich selbst in der Verzweiflung umgebracht – der Gedanke an Selbstmord ist allen Schwarzen, auch Kindern, ganz geläufig –, oder er habe sich im Busch verlaufen und sei von wilden Tieren gefressen worden. Seine Brüder hätten in allen Richtungen nach ihm gesucht, jetzt seien sie unterwegs ins Reservat, um ihn dort vielleicht zu finden.
Als ich auf meiner Seite die Uferböschung erstiegen hatte, wandte ich mich um und blickte über die Steppe; mein Gebiet lag höher als das Reservat drüben. Nirgends auf der Steppe war ein Lebenszeichen zu erblicken; nur in weiter Ferne sah man Zebras weiden und umhergaloppieren. Die Gruppe der Suchenden tauchte am anderen Ufer aus dem Gebüsch hervor und machte sich mit raschem Schritt im Gänsemarsch auf ihren Weg; die kleine Patrouille sah aus wie eine kurze Raupe, die sich durchs Gras schlängelte. Zuweilen blinkte die Sonne auf ihren Waffen. Sie schienen sich über ihre Richtung ziemlich im klaren zu sein. Wo war ihr Ziel? Die einzigen Wegweiser, die ihnen auf der Suche nach dem verlorenen Kinde helfen konnten, waren die Geier, die stets im Himmel schweben, wo ein toter Körper auf der Steppe liegt, und einem sicher anzeigen, wo der Löwe seine Beute geschlagen hat.
Aber diesmal würde es nur ein kleiner Körper sein, kein Festessen für die Vielfraße der Luft, nicht viele von ihnen würden über ihm lauern, und nicht lange würden sie bei ihm verweilen. Es war traurig, daran zu denken. Ich ritt heim.
Wamai
Ich ging zum Kyama in Begleitung von Farah. Ich nahm Farah bei allen Verhandlungen mit den Kikuju mit, denn er benahm sich zwar bei seinen eigenen Zwistigkeiten recht töricht und konnte wie alle Somali, wo seine Stammes- und Sippengefühle berührt wurden, völlig den Kopf verlieren, aber wenn andere Leute in Streit gerieten, bewies er Weisheit und Takt. Er war zudem mein Dolmetscher, denn er sprach vorzüglich Kisuaheli.
Ich wußte schon im voraus: der Hauptzweck des Prozesses war, aus Kaninu herauszuquetschen, was nur zu holen war. Seine Schafe würden nach allen Seiten davongetrieben werden, teils um die Eltern der toten und verwundeten Kinder zu entschädigen, teils um die Kosten des Kyama zu decken. Mir ging das von Grund aus gegen den Strich. Kaninu, sagte ich mir, hat seinen Sohn geradeso verloren wie die anderen Väter, und das Schicksal seines Kindes schien mir das tragischste von allen. Wamai war tot und aller Not ledig, und Wanyangerri war im Krankenhaus und wurde versorgt, aber Kabero war von allen verlassen, und niemand wußte, wo seine Gebeine lagen. Nun eignete sich Kaninu freilich ungewöhnlich gut für die Rolle des Ochsen, der zum Festschmaus gemästet ist. Er war einer meiner größten Squatter und stand auf meiner Pachtliste mit fünfunddreißig Stück Vieh, fünf Frauen und sechzig Ziegen. Sein Dorf lag dicht bei meinem Walde, ich sah seine Kinder und seine Ziegen oft genug und mußte immerfort seinen Weibern auf die Finger passen, weil sie mir die dicksten Bäume im Walde fällten. Ein Kikuju versteht nichts von Luxus, der Reichste lebt wie der Ärmste, und wenn ich in Kaninus Hütte trat, fand sich darin kein Möbelstück, außer vielleicht einem kleinen Holzschemel zum Sitzen. Aber Kaninus Dorf bestand aus vielen Hütten, und es wimmelte darin von alten Weibern, jungem Volk und Kindern, und der lange Zug von Rindern, die um die Melkzeit bei Sonnenuntergang über die Steppe auf das Dorf zuschritten, neben sich auf dem Grase ihre blauen Schatten mit sich ziehend – all das verlieh dem alten gebückten Manne im Fellmantel mit den tausend kleinen schmutzigen Furchen im dunklen häßlichen Gesicht unleugbar das Gepräge eines Nabobs der Farm.
Ich hatte mit
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