Jenseits von Afrika
Kaninu manchen hitzigen Streit ausgefochten, ich hatte ihm sogar gedroht, ihn von der Farm zu verjagen, und zwar wegen eines Gewerbes, das er betrieb. Kaninu stand mit dem benachbarten Massaistamm auf gutem Fuß und hatte vier oder fünf von seinen Töchtern hinüber verheiratet. Die Kikuju selbst erzählten mir, daß die Massai es in alten Zeiten unter ihrer Würde fanden, sich mit den Kikuju zu vermischen. Aber zu unserer Zeit hatte dies seltsame aussterbende Volk seinen Stolz zügeln müssen, um sein völliges Versiegen hinauszuzögern; die Massaifrauen hatten keine Kinder, und die jungen, fruchtbaren Kikujumädchen waren darum sehr gefragt. Kaninus Nachkommen waren durchwegs wohlgebaute Geschöpfe, und er hatte eine erkleckliche Zahl stattlicher munterer junger Rinder im Austausch gegen seine Töchter über die Grenze des Reservats herübergebracht. Mancher alte Kikujuhausvater ist damals auf die gleiche Art reich geworden. Der große Häuptling der Kikuju, Kinanjui, hat, wie man mir erzählt, mehr als zwanzig Töchter an die Massai vergeben und über hundert Stück Vieh dagegen erhalten. Aber seit einem Jahr war das Kikujureservat wegen Maul- und Klauenseuche mit Quarantäne belegt, und kein Vieh durfte mehr herübergeholt werden. Das war ein schwerer Schlag für Kaninus Geschäft. Denn die Massai sind Nomaden und wechseln ihren Wohnsitz je nach Jahreszeit, Regen und Weidegrund, und die Kühe in ihrer Herde, die von Rechts wegen Kaninu gehörten, waren weit verstreut und grasten zeitweilig vielleicht hundert Meilen weit weg, und niemand wußte, was dort mit ihnen geschah. Die Massai sind als Viehhändler skrupellos gegen jedermann, erst recht also gegen die Kikuju, die sie verachten; sie sind auch schöne Krieger und stark in der Liebe. In ihren Händen wandelten sich die Herzen von Kaninus Töchtern wie einst die Herzen der Sabinerinnen, und er konnte nicht mehr auf sie rechnen. Der alte gerissene Kaninu beschloß darum, sein Vieh in der Nacht, wenn der Bezirkskommissar und das Veterinäramt schliefen, übers Wasser schmuggeln zu lassen. Das war ein arglistiger Plan, denn die Quarantänebestimmungen gehören zu denen, die die Schwarzen gut begreifen und hochhalten. Wären die Kühe auf meinem Grund und Boden betroffen worden, so würde die Farm ebenfalls mit Quarantäne belegt worden sein. Ich schickte deshalb Wächter an den Fluß, um Kaninus Helfer abzufangen, und es gab in mondhellen Nächten aufregende Überfälle aus dem Hinterhalt und Hetzjagden den silbernen Flußlauf entlang; die Rinder, auf die es hauptsächlich ankam, wurden scheu und rannten nach allen Richtungen davon.
Jogona, der Vater des getöteten Kindes Wamai, war ein armer Mann. Er hatte nur ein altes Weib, und sein ganzer irdischer Besitz waren drei Ziegen. Es sah auch nicht aus, als würde er es je weiterbringen, denn er war ein sehr schlichter Mann. Ich kannte Jogona gut. Ein Jahr vor dem Unfall und der Einsetzung des Kyama war auf der Farm ein entsetzlicher Mord vorgefallen. Zwei Inder, die ein Stück weiter flußauf eine Mühle von mir gepachtet hatten und für die Kikuju Mais mahlten, waren nachts erschlagen worden, ihr Eigentum war geraubt, die Täter fand man nie. Der Mord scheuchte alle indischen Händler und Ladenbesitzer der Gegend auf; sie verschwanden, wie vom Sturm verweht; ich mußte Pooran Singh unten in meiner Fabrik mit einer alten Schrotflinte bewaffnen, und auch dann kostete es noch viel Überredung, ihn zum Bleiben zu bewegen. Auch ich glaubte, in den ersten Nächten nach dem Mord bei meinem Hause Fußtritte zu hören, und stellte darum eine Woche lang einen Nachtwächter auf, und dieser Mann war Jogona. Er war sehr sanftmütig und hätte gegen Mörder nichts ausgerichtet, aber er war ein freundlicher alter Mann, und es war nett, mit ihm zu plaudern. Er hatte das Benehmen eines fröhlichen Kindes, sein breites Gesicht hatte etwas Leuchtendes und Eindringliches, und sooft er mich sah, lachte er. Er schien sich auch jetzt sehr zu freuen, als er mich beim Kyama erblickte.
Aber der Koran, den ich damals studierte, sagt: »Du sollst das Recht nicht beugen zugunsten der Armen.«
Außer mir war noch ein Mitglied der Versammlung sich darüber im klaren, daß sie zusammengetreten war, um Kaninu zu schröpfen. Das war Kaninu selbst. Die anderen Alten saßen im Kreise herum, in gespannter Aufmerksamkeit alle Gedanken auf den bevorstehenden Prozeß richtend. Kaninu hockte am Boden und hatte seinen großen Ziegenfellmantel über den
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