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Jenseits von Afrika

Jenseits von Afrika

Titel: Jenseits von Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Blixen
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kleines Enkelkind, der Sohn einer der Töchter, die Kaninu ins Massaireservat vergeben hatte, die aber zurückgekehrt war und ihr Kind mitgenommen hatte. Der Junge hieß Sirunga. Die Blutmischung trat in ihm in einer übersprudelnden Lebendigkeit hervor, einer solchen Fülle von Einfällen und Späßen, daß er kaum noch ein Mensch zu sein schien: ein flackerndes Flämmchen eher, ein Nachtvogel, ein kleiner Kobold der Farm. Aber er war epileptisch, und darum fürchteten sich die anderen Kinder vor ihm und jagten ihn weg, wenn sie spielten, und nannten ihn Scheitani – der Teufel –, so daß ich ihn zu mir ins Haus nahm. Da er krank war, konnte er nichts arbeiten, aber er versah um so vortrefflicher den Dienst eines Narren oder Witzboldes und folgte mir überallhin wie ein kleiner zappelnder schwarzer Schatten. Kaninu kannte meine Liebe zu dem Kinde und hatte sie bisher mit einem großväterlichen Lächeln abgetan; jetzt aber griff er sie auf, spielte sie gegen mich aus und entnahm ihr alle Gefühlswerte, die sie hergab. Er verkündete in großem Ernst, lieber möchte er Sirunga zehnmal von Leoparden zerrissen sehen als Kabero verlieren; ja, mehr noch, da Kabero verloren sei, möge auch Sirunga dahinfahren, ihm sei alles gleich um Kaberos willen. Kabero sei der Apfel seines Auges und das Blut seines Herzens gewesen.
    War Kabero wirklich tot, so war dies Davids Klage über seinen Sohn Absalom, eine Tragödie, an die nicht zu rühren war, ein fruchtloser Redestrom. War er aber am Leben und verbarg sich bei den Massai, dann war das mehr als tragisch, dann war es Kampf oder Flucht, ein Ringen um das Leben eines Kindes.
    Ich habe die Gazellen in der Steppe dieses Spiel treiben sehen, wenn ich versehentlich an die Stelle kam, wo sie ihr Neugeborenes verborgen hielten. Dann tanzten sie und blieben vor einem stehen, hüpften, kapriolten oder stellten sich lahm, als könnten sie nicht von der Stelle – alles nur, um die Aufmerksamkeit von ihrem Jungen abzulenken. Und plötzlich, buchstäblich unter den Hufen des Pferdes, sah man das Kitzlein, den winzigen Kopf flach aufs Gras gestreckt, mäuschenstill kauern, indes die Mutter um sein Leben tanzte. Ein Vogel kann das gleiche Theater aufführen, um seine Brut zu schützen, er schwirrt und flattert und spielt sogar höchst geschickt den Verwundeten, der seine gebrochene Schwinge am Boden schleift.
    So spielte Kaninu sein Spiel vor mir. Stand wirklich dem Alten noch so viel Wärme und so viel Sprungkraft zu Gebote, wenn es um das Leben seines Kindes ging? Seine Knochen knackten beim Tanze; er vertauschte sogar sein Geschlecht, er nahm die Gestalt eines alten Weibes an, einer Henne, einer Löwin – das Spiel war so offenbar eine weibliche Erfindung. Es war ein groteskes Schaustück und hatte doch zugleich etwas Ehrwürdiges wie ein Strauß, der sein Weibchen beim Brüten der Eier ablöst. Keines Weibes Herz hätte der Vorführung ungerührt widerstanden.
    »Kaninu«, sagte ich, »wenn Kabero zur Farm zurückkehren will, so kann er das tun, und es soll ihm kein Leid geschehen. Aber du selbst mußt ihn dann hierher zu mir bringen.« Kaninu wurde totenstill; er neigte sein Haupt und schritt bekümmert davon, als hätte er seinen letzten Freund auf dieser Welt verloren.
    Ich möchte hier gleich erzählen, wie Kaninu dies Wort in seinem Herzen bewahrte und tat, wie ihm geheißen war. Sechs Jahre später, als ich den ganzen Vorfall schon fast vergessen hatte, ließ er mich eines Tages durch Farah um eine Unterredung bitten. Er stand vor dem Hause voller Würde, einen Fuß lässig von sich gestreckt, aber im innersten Herzen merklich unsicher. Er redete mich in verbindlichem Ton an. »Kabero ist wieder da«, sagte er. Ich beherrschte damals schon die Kunst der Pause und sagte kein Wort. Der alte Kikuju fühlte die Schwere meines Schweigens, er wechselte den Fuß, und seine Augenlider bebten. »Mein Sohn Kabero ist auf die Farm zurückgekehrt«, wiederholte er. Ich fragte: »Ist er von den Massai zurückgekehrt?« Augenblicklich, durch die Tatsache allein, daß er mich zum Reden gebracht hatte, nahm Kaninu unsere Versöhnung für vollzogen; er lächelte zwar noch nicht, aber alle die schlauen Fältchen seines Gesichtes richteten sich, als wären sie an einen Faden geknüpft und angezupft, auf ein Lächeln aus. »Ja, Msabu, ja, er ist von den Massai zurück«, sagte er, »er ist zurückgekehrt, um für dich zu arbeiten.« Die Regierung hatte in der Zwischenzeit das Kopanda eingeführt,

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