Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jenseits von Afrika

Jenseits von Afrika

Titel: Jenseits von Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Blixen
Vom Netzwerk:
einem Somali kann man sein Ansehen in einer Stunde schaffen oder vernichten.
    Unter den Eingeborenenstämmen nehmen die Massai eine besondere Stellung ein. Sie vergessen nichts, sie können dankbar sein, und sie bewahren ihren Groll. Sie bewahren alle ihren Groll gegen uns alle, und er wird nicht getilgt, ehe nicht der Stamm selbst getilgt ist.
    Aber die vorurteilslosen Kikuju, Wakamba oder Kavirondo kennen kein Moralgesetz. Für sie ist jeder Mensch jeder Handlung fähig, und man kann sie nicht verletzen, selbst wenn man will. Ein Kikuju ist arm oder verdorben zu nennen, wenn es ihm etwas ausmacht, was man ihm antut. Aus ihrer Natur und der Tradition ihres Volkes heraus betrachten sie unsere Handlungen wie Ereignisse der Natur. Sie bewerten einen nicht, aber sie sind scharfe Beobachter. Die Summe ihrer Beobachtungen ergibt das, wofür sie einen halten, den guten oder bösen Namen.
    Die ganz armen Menschen in Europa sind in der Beziehung ähnlich wie die Kikuju. Sie bewerten einen nicht, sie konstatieren einen. Wenn sie einen gern haben oder achten, dann tun sie es so, wie die Menschen Gott lieben: nicht für das, was man ihnen tut, ganz gewiß nicht für das Gute, das man ihnen tut, sondern für das, was man ist.
    Eines Tages sah ich bei meinen Wanderungen durch das Krankenhaus drei neue Patienten, einen ganz schwarzen Mann mit einem dicken schweren Kopf und zwei Buben; alle drei hatten Verbände am Halse. Einer der Wärter auf der Station war ein rechter Kriecher und Schwätzer und berichtete mir mit Vorliebe von den Fällen, bei denen es etwas zu klatschen gab. Als er mich vor den Betten der Neuankömmlinge stehenbleiben sah, kam er heran und erzählte mir ihre Geschichte.
    Es waren Nubier aus der Kapelle der afrikanischen Schützen, der schwarzen Truppe der Keniakolonie. Die Buben waren Trommler und der Mann Hornist. Der Hornist hatte viele Mißhelligkeiten in seinem Leben durchgemacht und darüber den Verstand verloren, was bei Schwarzen leicht vorkommt. Er hatte erst sein Gewehr nach rechts und links über die Baracken abgefeuert und, als die Patronen zu Ende waren, sich und die zwei Buben in seine Wellblechhütte eingesperrt und versucht, ihnen und sich die Kehle durchzuschneiden. Der Wärter bedauerte sehr, daß ich sie nicht gesehen hätte, wie sie eingeliefert wurden; sie seien vollkommen blutüberströmt gewesen, so daß man gedacht hätte, sie seien tot. Jetzt seien sie außer Gefahr, und der Mörder sei wieder ganz bei Sinnen.
    Während der Erzähler seine Geschichte zum besten gab, folgten die drei, von denen sie handelte, in ihren Betten mit gespannter Aufmerksamkeit seinen Worten. Sie unterbrachen ihn, um Einzelheiten zu berichten; die Buben, die nur mühsam reden konnten, wandten sich an den Mann im Mittelbett und ließen sich von ihm ihre Aussagen bestätigen, überzeugt, daß er sein Bestes tun würde, damit ich die Geschichte so wirkungsvoll wie möglich vorgesetzt bekäme. »Hast du nicht Schaum vorm Mund gehabt? Hast du nicht gekreischt?« fragten sie ihn. »Hast du nicht gesagt, du würdest mich in so kleine Stücke schneiden wie Heuschrecken?« Der Mörder sagte nur mit trüber Miene: »Ja, ja.«
    Manchmal hatte ich in Nairobi einen halben Tag lang nichts zu tun, als auf eine geschäftliche Besprechung zu warten oder auf die Post aus Europa, wenn sich der Zug von der Küste verspätete. In solchen Fällen fuhr ich, wenn ich nichts Besseres wußte, zum Krankenhaus und holte mir ein paar von den Genesenden zu einer Vergnügungsfahrt. Zu der Zeit, als Wanyangerri behandelt wurde, hielt der Gouverneur Sir Edward Northey ein paar junge Löwen, die er dem Londoner Zoo schicken wollte, in einem Käfig beim Gouvernementsgebäude. Das war eine große Attraktion für die Insassen des Krankenhauses; alle baten, sie sehen zu können. Ich hatte den drei Regimentsmusikern versprochen, sie hinzufahren, sowie sie gesund genug waren, aber keiner wollte mit, bevor sie nicht alle drei soweit wären. Beim Hornisten dauerte es am längsten; einer der Buben war schon entlassen, bevor der Mann mitfahren konnte. Der Junge kam täglich ins Krankenhaus und erkundigte sich nach ihm, um ja nicht um seine Ausfahrt zu kommen. Ich traf ihn eines Nachmittags vor der Tür; er erzählte mir, der Hornist habe immer noch entsetzliches Kopfweh; aber das sei ja nicht zu verwundern, nachdem er so viele Teufel im Kopf gehabt habe.
    Schließlich waren sie alle drei soweit und standen, in tiefe Betrachtung versunken, vor dem Käfig.

Weitere Kostenlose Bücher