Jenseits von Afrika
Der eine junge Löwe, wütend, daß man ihn so lange anstarrte, sprang plötzlich in die Höhe, reckte sich und brüllte auf, so daß die Zuschauer erschraken und der kleinere von den Buben hinter dem Hornisten Schutz suchte. Als wir zurückfuhren, sagte er zu ihm: »Der Löwe war grad so böse wie du.«
Während dieser ganzen Zeit ruhte der Fall Wanyangerri draußen auf der Farm. Seine Verwandten kamen manchmal und fragten, wie es ihm gehe; aber außer seinem kleinen Bruder fürchteten sie sich anscheinend, ihn zu besuchen. Auch Kaninu kam spätabends bei mir vorbei, um sich nach dem Kinde zu erkundigen. Farah und ich versuchten gelegentlich, seine Leiden abzuwägen und in Schafe umzurechnen.
Einige Wochen nach dem Unfall kam Farah wieder mit Neuigkeiten zu mir.
Er trat in solchen Fällen herein, wenn ich bei Tisch saß, stellte sich am Ende der Tafel aufrecht hin und ging daran, meine Unwissenheit zu erleuchten. Farah sprach gut Englisch und Französisch, nur einige Fehler behielt er hartnäckig bei. So sagte er »außerdem« statt »außer« – »alle Kühe sind heimgekommen, außerdem die graue Kuh« –, und statt ihn zu verbessern, gebrauchte ich dieselben Wendungen, wenn ich mit ihm sprach. Sein Gesicht und seine Haltung waren sicher und würdevoll, aber der Anfang seiner Rede war oft dunkel. »Memsahib«, sagte er, »der Kabero.« Das war die Überschrift, ich wartete, was nun kommen würde.
Nach einer Pause nahm Farah das Thema auf. »Du glaubst, Memsahib«, sagte er, »Kabero sei tot und von Hyänen aufgefressen. Er ist nicht tot. Er ist bei den Massai.«
Zweifelnd fragte ich ihn, woher er das wisse. »Oh, ich weiß es«, sagte er. »Kaninu hat viele Töchter an die Massai verheiratet. Als Kabero keinen Menschen wußte, der ihm helfen würde, außerdem die Massai, lief er davon zu dem Mann seiner Schwester. Er hat freilich Schlimmes durchgemacht. Er hat eine ganze Nacht oben auf einem Baume gesessen, und die Hyänen haben unten gelauert. Jetzt lebt er bei den Massai. Da ist ein reicher alter Massai mit vielen hundert Kühen, der hat keine Kinder und möchte Kabero haben. Kaninu weiß das sehr gut und ist oft bei den Massai gewesen, um alles zu bereden. Aber er hat Angst, es dir zu sagen; er meint, wenn die Weißen es erfahren, dann wird Kabero in Nairobi gehängt werden.«
Farah sprach von den Kikuju immer in herablassendem Ton. »Die Massaiweiber«, sagte er, »bekommen keine Kinder. Sie möchten nur zu gern Kikujukinder haben. Sie stehlen sie sich oft. Aber dieser Kabero«, fuhr er fort, »wird zur Farm zurückkehren, wenn er groß ist; er wird nicht leben wollen wie die Massai, die immer von einem Ort zum anderen wandern. Die Kikuju sind zu faul dazu.«
Von der Farm aus konnten wir das tragische Schicksal des aussterbenden Massaistammes am anderen Ufer des Flusses Jahr um Jahr verfolgen. Sie waren Krieger, die nicht mehr kämpften, ein sterbender Löwe mit gekappten Klauen, ein entmanntes Volk. Man hatte ihnen ihre Speere, ja sogar ihre prächtigen Schilde genommen, und im Jagdschutzgebiet verfolgten die Löwen ihre Rinderherden. Ich hatte auf der Farm einmal drei junge Bullen, die verschnitten wurden, um als zahme Ochsen meine Pflüge und Wagen zu ziehen. Man sperrte sie im Hof der Aufbereitung ein. Nachts witterten die Hyänen das Blut, brachen ein und töteten sie. So, schien mir, war das Schicksal der Massai.
»Kaninus Frau«, sagte Farah, »ist traurig, daß sie ihren Sohn so viele Jahre entbehren soll.«
Ich ließ Kaninu nicht kommen, denn ich wußte nicht, ob ich Farahs Bericht trauen sollte oder nicht, aber als er das nächste Mal an mein Haus kam, trat ich hinaus und sprach mit ihm. »Kaninu«, fragte ich, »lebt Kabero? Ist er bei den Massai?« Ein Schwarzer ist nie unvorbereitet auf etwas, was man tut, und Kaninu brach in Schluchzen über sein verlorenes Kind aus. Ich hörte und sah ihm eine Weile zu. »Kaninu«, sagte ich dann, »bring Kabero hierher. Er wird nicht gehängt werden. Seine Mutter soll ihn bei sich auf der Farm haben.« Kaninu hatte sich in seinem Wehklagen nicht unterbrechen lassen, aber sein Ohr mochte das unselige Wort Hängen erhascht haben; sein Jammer wechselte in eine tiefere Tonart; er erging sich in Schilderungen des hoffnungsvollen Knaben und Beteuerungen seiner innigen Vorliebe für ihn.
Kaninu besaß eine Menge Kinder und Enkelkinder. Da sein Gehöft nicht weit von meinem Hause war, trieben sie sich immer in der Nähe herum. Unter ihnen war ein ganz
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