Jenseits von Feuerland: Roman
Zeit Witwe.«
Emilia hörte, wie Annelie seufzte. »Es ist kompliziert. Es ist besser, wenn wir nicht …«
»Weißt du was«, unterbrach Barbara sie da jedoch forsch, »manchmal habe ich mich gefragt, ob Manuel Cornelius’ Sohn sein könnte. Sie haben damals so viel Zeit miteinander verbracht. Ich kann mich erinnern, dass niemand Elisa nach Ricardos Tod so gut trösten konnte wie er. Und Lukas war damals schon krank.«
Emilia hätte am liebsten den Kopf geschüttelt, doch dazu war in der Truhe nicht genügend Platz.
Was für ein Unsinn! Wie kam Barbara nur auf diese absurde Idee?
Annelie dagegen schwieg betroffen, und so war Barbara es schließlich selbst, die sich eine Antwort gab. »Das kann natürlich gar nicht sein. Sonst wären Emilia und Manuel ja Geschwister, und weder Elisa noch Cornelius würden zulassen, dass sie heiraten!«
Diesmal wollte Emilia am liebsten entschlossen nicken – doch auch dafür war es natürlich zu eng.
Annelie seufzte erneut. »Barbara, ich sage dir jetzt etwas, was du nie, nie weitererzählen darfst. Hörst du? Keiner darf es je erfahren! Aber ich denke, du solltest es wissen … Du kannst es am ehesten verstehen …«
Sie atmete tief durch, ehe sie fortfuhr. Im nächsten Augenblick litt Emilia nicht mehr an der Enge der Truhe, an der stickigen Luft und den schmerzenden Gliedern. Im nächsten Augenblick zerbrach ihre ganze Welt.
5. Kapitel
E milia glaubte zu ersticken und sich übergeben zu müssen, als sie Annelies Worten lauschte. Übermächtig wurde der Drang, mit den Fäusten gegen den Deckel und die Wände der Truhe zu schlagen, nicht nur, bis sie sich aus dem bedrückenden Gefängnis befreit, sondern bis sie es kurz und klein gehauen hatte. Das Herz dröhnte, und dieses Dröhnen stieg ihr in den Kopf, bis er sich anfühlte, als würde er sich unnatürlich aufblähen, ja schier zerplatzen. Sie presste ihre Fingernägel so fest in die Daumenballen, dass sie bluteten, und dass die warme Flüssigkeit nicht nur über ihre Hände lief, sondern auch auf das Kleid tropfte, ihr schönes Hochzeitskleid mit den edlen Spitzen, war ihr gleichgültig. Es zählte nichts, nichts zählte mehr, außer Annelies Worten. Sie konnten nicht wahr sein, unmöglich konnten sie das! Sie musste sie falsch verstanden haben, weil in der Enge der Truhe ihre Sinne verrücktspielten! Ja, der Mangel an Luft gaukelte ihr all das nur vor!
Wieder überkam sie der Drang, wild um sich zu schlagen, doch je länger Annelie redete, desto kraftloser fühlte sie sich, und als die Frauen ihr Gespräch beendet und ihre Schritte sich entfernt hatten, blieb sie starr in der Truhe hocken. Annelies Worte schienen von den Wänden des kleinen Gefängnisses zu hallen, raunender, geheimnisvoller, als sie sie vorhin ausgesprochen hatte.
»Du hast recht«, hatte Annelie gesagt. »Cornelius ist in Wahrheit Manuels Vater. Aber er und Emilia sind trotzdem keine Geschwister. Emilia ist nicht Cornelius’ Tochter. Er hat Greta damals nur geheiratet, um ihren Ruf zu wahren.«
Barbara schien bereits einiges davon vermutet zu haben – jetzt war ihr aber doch ein überraschter Aufschrei entfahren. »Aber … aber wer …?«
Sie hatte die Frage nicht zu Ende bringen können.
»Wer wohl?«, hatte Annelie knapp zurückgefragt, voller Mitleid, aber auch voller … Ekel.
»Viktor«, hatte Barbara festgestellt, tonlos nun, doch in Emilias Erinnerung wurde dieser Name zum Schrei.
Sie ballte ihre Hände nicht länger zu Fäusten, sondern hielt sich die Ohren zu, als könnte sie auf diese Weise das Gespräch ungeschehen machen. Durch die abrupte Bewegung verrutschte der Deckel der Truhe; frische, kühle Luft traf ihr heißes Gesicht, aber sie merkte dieses Labsal kaum. Sie biss sich auf die Lippen, um nicht aufzuschreien, schmeckte Blut. Sie presste ihre Augen zusammen, doch sie sah keine Finsternis, nur grelle Blitze. Alles begann sich zu drehen, schnell, immer schneller.
O mein Gott … Cornelius Suckow ist nicht mein Vater, sondern … sondern … sondern …
Es musste ein Traum sein, ein böser Traum. So wie sie heute Nacht von Greta geträumt hatte, dann aber erwacht und die Welt wieder in Ordnung gewesen war.
Doch inmitten ihres Entsetzens wartete ein nüchterner Gedanke: Jetzt verstand sie. Jetzt verstand sie alles.
Sie verstand, warum Gretas Augen flatterten, wenn sie von Viktor sprach, ihrem Bruder. Sie verstand, warum Cornelius ihr zwar stets ein guter Vater gewesen war, aber in den letzten Jahren immer
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