Jenseits von Feuerland: Roman
von Mummhausen, Varietébesitzerin
Paolo, ein Sänger
Natascha, eine Soubrette
Bruno, ein »Bajazzo«
Historische Anmerkung
V on meiner Reise nach Patagonien sind mir vor allem zwei Eindrücke im Gedächtnis geblieben: Zum einen faszinierte mich die unglaublichen Weite der kargen Landschaft, deren Charme sich nicht auf den ersten Blick erschließt und die etwas ebenso Verführerisches wie Beängstigendes hat – kann man sich hier doch zugleich frei und verloren fühlen, wunderbar losgelöst vom Alltag, aber auch von aller Welt abgeschnitten. Zum anderen erinnere ich mich noch gut an die sich rasch ändernden Wetterverhältnisse und den heftigen Wind. Es vermittelt ein ganz neues Körpergefühl, wenn man einen Hügel hinunterläuft und sich dem Wind entgegenfallen lassen kann, ohne zu stürzen. Oder wenn sich umgekehrt, in sprichwörtlicher Windeseile, gleicher Hügel erklimmen lässt, weil man von unsichtbarer Macht angeschoben wird.
Als ich an vorliegendem Roman gearbeitet habe, habe ich versucht, diese Eindrücke immer wieder heraufzubeschwören. Doch um das Leben vom Emilia und Rita im südlichsten Zipfel Chiles möglichst authentisch zu beschreiben, ging es natürlich nicht nur darum, diese Erinnerungen zu beleben, sondern möglichst viele Informationen und Fakten zusammenzutragen. Oft ließen sich die damaligen Lebensbedingungen gut rekonstruieren – doch nicht immer blieben die Ergebnisse meiner Recherche lückenlos, und manchmal musste die Phantasie aushelfen, um bloße Eckdaten mit Leben zu füllen.
Das betrifft insbesondere den Alltag in Punta Arenas. In vielen Tagebucheinträgen, Briefen, Lebensschilderungen oder Romanen südamerikanischer Autoren wird diese Stadt ähnlich geschildert: als eine Art Schmelztiegel, in dem nicht nur verschiedene Kulturen und Nationen (Briten, Deutsche, Portugiesen, Italiener, Schweizer, Russen etc.), sondern der Reichtum von Schafzüchtern und Reedern mit der Armut vieler europäischer Auswanderer, denen das Geld für die Weiterfahrt ausging, zusammentrafen. Unternehmer und Deserteure wurden von Punta Arenas ebenso angezogen wie Abenteurer unterschiedlichsten Formats: Männer auf der Suche nach Gold oder schlichtweg nach Arbeit oder exzentrische Damen à la Lady Florence Dixie. Schnell wachsend, oft chaotisch, mit vielen Herbergen, Saloons und Bordellen und als Zentrum von Schifffahrt und Handel, glich die einstige Strafkolonie in ihrer kurzen Hochzeit, die nach dem Bau des Panama-Kanals schlagartig vorbei war, wohl einer Stadt im Wilden Westen. Doch trotz vieler Schilderungen, die das bestätigen – wegen der sich mehrmals verdoppelnden Einwohnerzahl veränderte sich das Stadtbild zu schnell, um es genau erfassen zu können. Man möge es mir darum nachsehen, wenn mein Punta Arenas rund um das Jahr 1882 vielleicht in manchem besser das Punta Arenas späterer oder früherer Zeiten trifft.
Überschaubar sind die Schilderungen vom alltäglichen Leben auf einer patagonischen Estancia. Hier wird entweder eine sehr männliche Sichtweise eingenommen – die der Gauchos – oder die der Engländerinnen, die mehr für den Haushalt als für die Schafzucht selbst verantwortlich waren. Aus den Details von beiden, aber auch mit einer gehörigen Portion Phantasie habe ich versucht, das Leben meiner Protagonistinnen möglichst glaubhaft darzustellen. Worin sich die damaligen Estancias am stärksten unterschieden, war ihre Größe. Die von mir geschilderte Estancia ist ein kleiner Familienbetrieb, wie es sie letztlich nur vereinzelt gab – und nicht zu vergleichen mit einem Großunternehmen wie z.B. das der berühmten Familie Braun-Menéndez, die die Wirtschaft der Region nachhaltig beeinflusste und deren Palacio an der Plaza Muñoz Gamero bis heute das Stadtbild von Punta Arenas prägt. Nicht weit entfernt davon befindet sich auch die bronzene Statue des El Indio Desconocido (Unbekannter Indianer) – im Volksmund Indiecito genannt und als wundertätig verehrt –, die daran gemahnen soll, auf wessen Kosten viele der damaligen Schafbarone ihren Reichtum erlangten.
Das Leben der Tehuelche, der Ureinwohner Patagoniens, ist gut dokumentiert. In meinem Roman habe ich die Missionare, Sprachenforscher und Entdecker teilweise erwähnt, die sich ab dem 18. Jahrhundert mit diesem Volk beschäftigten, mit ihm lebten und vieles genau beschrieben – ihre Sprache und ihr Aussehen, ihre Kleidung und Waffen, ihre Riten und Bräuche. Diese Dokumente waren mir bei der Darstellung von
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