Jenseits von Feuerland: Roman
Rita darauf bestand, erschien ein verschwörerisches Lächeln auf ihrem Gesicht. Bis jetzt hatte sie das Kleid nur in Barbaras und Annelies Beisein und zum Zwecke der Anprobe angezogen. Es dürfte nicht zerreißen und schmutzig werden, hatte Annelie stets gewarnt. Allerdings – hier in der Stube war es sauber, wie sollte sie es da beschmutzen? Und sie würde doch vorsichtig sein!
Als Rita weiterhin forsch nickte, legte sie rasch ihre Kleidung ab, breitete das Kleid erst sorgfältig auf ihrem Bett aus und schlüpfte dann ganz langsam hinein. Der Kragen saß nun tatsächlich wie angegossen, nicht zu weit, aber auch nicht zu eng. Die Taille war schmal, der Rock fließend. Sie wusste nicht, ob es die Spitzen waren, der helle Stoff oder die kunstvollen Puffärmel, aber als sie sich in dem ovalen Spiegel musterte, strahlten ihre blauen Augen stärker als sonst, und ihr Gesicht, jetzt im Frühling noch vornehm blass und nicht sonnengebräunt, schien glatt wie Elfenbein. Emilia drehte und wendete sich vor dem Spiegel, und sie lachte auf – so sehr gefiel ihr das, was sie sah.
»Barbara will mir die Haare flechten«, rief sie begeistert. »Nicht zu einem normalen Zopf, sondern so …«
Sie versuchte es, Rita vorzuführen, scheiterte jedoch schon nach den ersten Flechten. Barbara war geschickt genug, um elegante Frisuren zaubern zu können, sie selbst hingegen war schon froh, die Flut an Strähnen irgendwie zu bändigen. Doch Rita achtete gar nicht auf ihre missratenen Flechtversuche. Eben war sie zu Emilia getreten und blickte nun starr in den Spiegel.
»Denkst du, man sieht es mir an?«, fragte sie unvermittelt.
»Was?«
»Dass ich … dass ich eine Mapuche bin.«
Emilia schaute sie verwundert an. Wenn sie Rita in den letzten Tagen gemustert hatte, so nur, um festzustellen, ob ihre Wunden verheilt waren und ihr geschwächter Leib wieder zu Kräften gekommen war. Ihr war nicht entgangen, dass Rita sorgfältig versuchte, sich den Sitten der deutschen Siedler anzupassen – wie diese zu essen, sich zu kleiden, sich zu bewegen –, doch ihr wäre nie in den Sinn gekommen, dass Rita ihre Herkunft als Makel empfand.
»Wie kommst du nur darauf?«
»Ich meine«, murmelte Rita, »ich meine … könnte man mich auch für eine Spanierin halten?«
Eben hatte ihre Stimme leicht verächtlich geklungen – nun kam ein hoffnungsvoller Ton hinzu.
Emilias Blick ging wieder zum Spiegel, doch diesmal betrachtete sie nicht ihr eigenes Bild, sondern das von Rita. Sie war sehr klein und zart, und die Backenknochen standen spitz aus dem Gesicht hervor. Eigentlich war sie hübsch anzusehen, mit den kohlschwarzen, glänzenden Augen und dem glatten Haar, das in der Mitte gescheitelt und rechts und links zu Zöpfen gebunden war. Ihre Haut war etwas dunkler als die ihre, doch im Sommer würde sich der Farbton kaum unterscheiden.
»Einige meiner Vorfahren waren Weiße«, murmelte Rita und klang nun fast flehentlich. »Meine Mutter – ich habe sie nie kennengelernt, denn sie ist bei meiner Geburt gestorben – war sogar die Tochter eines Weißen.«
Emilia legte ihre Hände um Ritas Schultern. »Egal, von wem du abstammst und für wen man dich hält – in jedem Falle bist du sehr hübsch.«
Sie erwartete, damit ein Lächeln in Ritas Gesicht zu zaubern. Doch der Ausdruck ihrer Augen wurde panisch. »Aber ich muss eine Spanierin sein!«, rief sie eindringlich. »Sonst werde ich niemals glücklich werden! Und ich bekomme nie einen Mann! Mein … mein ganzes Volk ist doch ausgerottet worden. Es gibt … es gibt niemanden mehr.«
»Rita …«, setzte Emilia hilflos an.
»Ich will einen Spanier heiraten. Oder am besten einen Deutschen. Einen Mann wie Manuel. Der mich so liebt wie er dich. Und dann kann ich in Frieden hier leben, und niemals werden Soldaten kommen, um mich zu töten …«
Es hörte sich so ernsthaft an, als spreche sie einen Schwur. Irgendetwas an ihr verstörte Emilia zutiefst, doch sie wusste nicht genau, was es war, spürte nur, wie sich Ritas Leib unter ihren Händen verkrampfte.
»Du musst dir keine Sorgen machen«, versuchte sie, Rita zu trösten, »eines Tages wirst du einen Mann finden, und du wirst glücklich werden.«
»Ich möchte … ich möchte unbedingt in deiner Nähe bleiben!«
Emilias Unbehagen wich der Rührung. »Und das wirst du auch!«, rief sie. »Wenn Manuel und ich erst geheiratet haben und unser Haus gebaut ist, dann wirst du bei uns leben!«
Sie wandte sich wieder dem eigenen
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