Jenseits von Feuerland: Roman
Spiegelbild zu, während Rita zurücktrat.
»Weißt du was«, schlug sie vor, und die sture Entschlossenheit, aber auch der Schmerz waren aus ihrem Gesicht verschwunden. »Du hast mir doch gesagt, dass du bei der Hochzeit einen Blumenkranz im Haar tragen wirst. Im Garten wachsen Veilchen und Krokusse. Ich werde ein paar pflücken, dann können wir ausprobieren, welche am besten zu dem Kleid passen.«
Ehe Emilia ihr widersprechen konnte, lief sie schon behende die Treppe hinunter. Das Gehen schien ihr keinerlei Schmerzen mehr zu bereiten, was Emilia mit Erleichterung feststellte. Vielleicht hatte Rita auch ganz recht. Es galt, nach vorne zu schauen, alles Schlimme, was geschehen war, hinter sich zu lassen und die Schrecknisse des Lebens zu überwinden.
Wieder drehte und wendete Emilia sich vor dem Spiegel, konnte gar nicht genug von ihrem Anblick bekommen und malte sich aus, wie Manuel staunen würde, wenn er sie in diesem wunderschönen Kleid sah.
Als nach einer Weile plötzlich Schritte ertönten, glaubte sie, dass Rita wieder zurück war, und wollte ihr schon entgegeneilen. Gerade noch rechtzeitig hielt sie sich zurück, denn die Stimme, die nun ertönte, war nicht Ritas.
»Emilia, bist du da?«
Emilia zuckte erst zusammen, steckte dann möglichst lautlos den Kopf durch die Tür und lugte nach unten. Annelie stand in der Stube und neben ihr Barbara.
»Emilia?«
Emilia wich zurück. Sie durften sie nicht sehen, nicht in dem Kleid, das sie unerlaubt angezogen hatte!
Sie zerrte an den Knöpfen, um es rasch auszuziehen, doch da hörte sie schon die Schritte die Treppe heraufkommen.
»Emilia?«
So schnell konnte sie das Kleid unmöglich ablegen!
Hilfesuchend drehte sich Emilia im Kreis. Ihr Blick fiel auf die noch geöffnete Truhe, in der sich das Kleid befunden hatte, und im nächsten Moment war sie schon hineingestiegen und hatte den Deckel über sich geschlossen. Augenblicklich schrumpfte ihre Welt auf einen engen, stickigen, finsteren Raum zusammen, in dem sie sich kaum rühren konnte.
»Hier ist sie nicht!«, hörte sie Barbara sagen.
»Merkwürdig«, erklang Annelies Stimme, gleichzeitig nah und doch gedämpft. »Ich hätte schwören können, dass ich etwas gehört habe.«
Emilia versuchte, keinen Mucks zu machen. Schweiß brach ihr aus. Hoffentlich zerknitterte ihr Kleid nicht! Und hoffentlich fand sie genügend Luft in der Truhe! Schon jetzt wurde das Verlangen übermächtig, den Deckel aufzustoßen, sich zu strecken und einen tiefen Atemzug zu machen.
Währenddessen unterhielten sich die beiden Frauen miteinander, und Emilia erfuhr, warum sie in die Schlafstube gekommen waren. Barbara wollte offenbar neue Vorhänge nähen und musterte das Fenster ausgiebig. Und Annelie erklärte lang und breit, wie die Vorhänge aussehen sollten.
Ach bitte!, flehte Emilia innerlich. Bitte geht doch!
Ihre Glieder begannen zu schmerzen. Sie hörte kaum mehr, was die beiden Frauen sagten, konzentrierte sich nur darauf, nicht in Panik zu verfallen, und rieb sich die schmerzenden Knochen.
Erst als Barbara plötzlich den Namen ihres Vaters aussprach, wurde sie wieder hellhörig.
»Elisa und Cornelius – werden sie gemeinsam kommen?«, fragte Barbara.
Emilia lauschte gebannt. Sie wusste, dass ihr Vater häufig in Valparaíso zu tun hatte, wo Elisa lebte, jedoch nicht, wie eng sie in Kontakt standen. Gewiss war es naheliegend, dass sie – so es denn der Zufall wollte – die lange Reise gemeinsam antraten, und sie war umso verwirrter, als Annelie mit schroffer Stimme antwortete: »Wo denkst du nur hin?«
Barbara lachte, doch es klang irgendwie traurig. »Mir musst du es nicht verheimlichen«, sagte sie. »Die Jüngeren wissen nichts davon, und andere haben es vergessen, aber mir war immer klar, dass Cornelius und Elisa sich geliebt haben. Und dass sie jetzt endlich zusammen sein können, wenn auch nicht hier.«
Emilia wurde immer heißer. Sie hatte das Gefühl, ihr Kopf müsste zerplatzen. Was redete Barbara da? Manuels Mutter und ihr Vater sollen sich geliebt haben? Ein Paar sein?
Sie mochte Elisa. Vor allem in den letzten Monaten, ehe sie nach Valparaíso aufgebrochen war, waren sie sich nahegekommen. Aber sie wäre nie auf die Idee gekommen, dass sie und ihr Vater Cornelius zusammenlebten … obendrein hinter ihrem und Manuels Rücken?
Genau diese Frage stellte nun auch Barbara: »Ich verstehe nicht, warum sie es jetzt noch verheimlichen. Greta ist seit über einem halben Jahr tot und Elisa seit langer
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