Jenseits von Timbuktu
die dann auf Nimmerwiedersehen
in der Wüste verschwinden oder als Leiche irgendwo auftauchen â¦Â«
»Geil, dann kommen wir ins Fernsehen und können unsere Geschichte für einen Haufen Kohle verkaufen«, hatte ein naseweiser Praktikant, der am Kopierer stand, grinsend bemerkt.
»Wohl kaum, wenn du tot bist, du Vollidiot!«, hatte ihn der Produktionsassistent angefaucht, worauf der Praktikant den Kopf gesenkt und etwas Unverständliches gemurmelt hatte.
Aber Anita hatte Einwände gehabt. »Südafrika soll mindestens ebenso gefährlich sein«, hatte sie ihm vorgehalten. »Ich bin quer durchs Internet marschiert, um mich zu informieren, und das kann man überall lesen. Bis zu sechzig Morde am Tag passieren da! Das muss man sich mal vorstellen.«
»Fünfzig, höchstens  â nach neuesten Statistiken«, war die lakonische Antwort. »Und hauptsächlich in den Schwarzentownships. Da wollen wir ja nicht hin. Und in Deutschland werden auch Menschen ermordet.«
»Eins Komma neun pro Tag«, hatte Anita gekontert. »706 im Jahr. Habe ich auch gecheckt. Das erreicht Südafrika locker in vierzehn Tagen. Nach den neuesten Statistiken wohlgemerkt. In elf Tagen, wenn man sechzig Morde täglich zugrunde legt. AuÃerdem sind wir über achtzig Millionen und die noch unter fünfzig.«
»Wie auch immer«, hatte der sichtlich genervte Produktionsassistent ihre Bemerkung vom Tisch gewischt. »AuÃerdem haben die Südafrikaner wegen der Weltmeisterschaft im Juni insgesamt 180 000 Polizisten auf den StraÃen, um die Touristen zu schützen. Ein GroÃteil des Films wird irgendwo in der Walachei im äuÃersten nordwestlichen Zipfel vom Nordkap gedreht, dahin werden sich nicht so viele Verbrecher verirren. Die letzten Szenen drehen wir am Originalschauplatz in Zululand im Osten Südafrikas. Wir haben dort in einem privaten Wildreservat für eine Woche fast die ganze Lodge gemietet. Tolle Location. Allerbeste Security. Die ist sicher wie eine Festung.«
Genau die Wahl dieses Reservats hatte den Ausschlag gegeben, dass Anita überhaupt die Einladung des Produzenten angenommen hatte, für ein paar Tage die Dreharbeiten zu beobachten. Eine spontane Entscheidung, die sie jetzt schon bereute. Ständig war sie auf dem Set von Menschen umgeben, lauten, lebhaften Menschen, die ungeheuer kommunikativ waren und ständig in Bewegung. Es machte sie kribbelig und scheu. Früher war sie auch so gewesen, lebhaft und kommunikativ, aber das war längst nicht mehr so. Seit Franks Tod, dem Verlust ihres ungeborenen Babys und dem Selbstmord ihrer Mutter war diese Zeit für immer unerreichbar hinter einer schwarzen Mauer vergraben. Sie fand keine Verbindung mehr.
Aber das Wildreservat lag im Herzen von Zululand, wo sich auch die kleine Farm ihrer Eltern befunden hatte. Nur deshalb zwang sie sich, noch hierzubleiben. Von da aus würde sie dem Leben ihrer Eltern nachspüren und herausfinden können, was dort geschehen war. Was deren Traum zerstört hatte. Was sie schlieÃlich dazu veranlasst hatte, Südafrika für immer den Rücken zu kehren. Immerhin hatten sie rund zwanzig Jahre dort gelebt, ehe sie Hals über Kopf das Land verlassen hatten. Oder verlassen mussten? Waren sie aus dem Land gejagt worden? Weil sie etwas verbrochen hatten?
Hier sperrte sich ihre Fantasie. Die Eltern, die sie kannte, hätten nie etwas getan, was ihr Gastland gegen sie aufgebracht hätte, da war sie sich hundertprozentig sicher. Nachdenklich tupfte sie Stirn und Nacken ab. Der Schweià lief ihr in Bächen herunter und kitzelte unangenehm. Hoffentlich war es auf dieser Wildfarm nicht auch so heiÃ. Sie hatte die Klimadaten von Ulundi gegoogelt, der Hauptstadt Zululands. Durchschnittstemperaturen von 27 Grad waren dort für tagsüber angegeben. Ein anderes Portal hatte bei dem aktuellen Wetter allerdings eine Temperatur von 35 Grad mit sehr hoher Luftfeuchtigkeit angezeigt. Sie nahm sich vor, bei der nächsten Gelegenheit ein paar
Tops mit Spaghettiträgern und Shorts zu kaufen. In Jeans und T-Shirts war diese Hitze nicht auszuhalten.
Wo genau in Zululand die Farm Timbuktu gelegen hatte, war ihr nicht bekannt. Auch das hatten ihr ihre Eltern nie erzählt. Sie hatte keine Ahnung, ob die Farm noch in irgendeiner Form existierte, aber sicherlich gab es so etwas wie ein Grundbuchamt, wo alle Besitzer registriert waren. Bis
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