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Jenseits von Timbuktu

Jenseits von Timbuktu

Titel: Jenseits von Timbuktu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gercke Stefanie
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herum wichen zurück, bis sie nur noch die ihrer Eltern vernahm.
    Â»Weißt du noch, damals in Afrika?«, würde einer der beiden sagen.
    Unweigerlich rief dieses Wort stets ein verklärtes Lächeln auf
die Züge ihrer Mutter, ein inneres Leuchten, und ihr Vater bekam feuchte Augen und seufzte.
    Â»Afrika«, flüsterten dann beide und fassten sich an den Händen.
    Zu dritt pflegten sie sich darauf um den Esstisch zu setzen, ihr Vater holte den Atlas, und dann wanderten sie mit den Fingern über die Landkarte des riesigen Kontinents. Ihr Vater hatte sein Medizinstudium abgebrochen, um in Afrika zu sich selbst zu finden und seinem Vater zu entgehen, der ihn mit Enterbung und Schlimmerem drohte, sollte er nicht auf der Stelle gehorchen, nach Brasilien zurückkehren und in das Kaffeegeschäft der Familie einsteigen. In Hamburg war es ihnen gelungen, eine winzige Kabine auf einem Frachter zu bekommen, unter der Bedingung, dass sie in der Kombüse ihre Passage abarbeiten würden. Als sie in Dakar landeten, reichte das Geld gerade noch für zwei Fahrkarten auf der Dakar-Niger-Eisenbahn. Nach der drückenden Schwüle der feuchtheißen Westküste wurde die Luft allmählich trockener, leichter zu atmen. Der Zug ratterte durch endlose, leere Weiten, hier und da passierten sie ein paar grasgedeckte Rundhütten. Dann standen Kinder am Bahndamm und winkten und schrien, und nicht selten musste die Lokomotive mit quietschenden Bremsen den Zug stoppen, weil eine Ziegenherde einige wenige saftige Grashalme zwischen den Eisenbahnschwellen entdeckt hatte. In Koulikoro verließen sie den Zug.
    Â»Von dort aus hätten wir weiter nach Süden durch Obervolta reisen können«, erzählte ihr Vater. »Als Kind aber habe ich die Berichte von René Caillié und Heinrich Barth gelesen, die im neunzehnten Jahrhundert Timbuktu besucht haben. Soweit wir wissen, waren sie die ersten Europäer, die es geschafft haben, die Stadtmauern von Timbuktu zu passieren. Und lebend wieder herauszukommen. Es war sehr gefährlich damals und ist es in gewisser Weise auch heute noch. Man muss wissen, wie man
sich bewegt, und wo. Heinrich Barth hat sich als Beduine verkleidet und ist tief in die geheimnisvolle Welt der Menschen dort eingedrungen. Seitdem habe ich von dieser geheimnisvollen Stadt geträumt. Und von dem Mond von Timbuktu. Wundervolle Dinge habe ich über ihn gelesen. Wie nirgendwo sonst soll er sein, Seltsames soll er bewirken, dieser Mond. Dein Herz schlägt wild und leidenschaftlich, und deine Gedanken zerfließen in seinem Licht …«
    Gedankenverloren hatte er eine kleine Melodie gesummt, eine leise Melodie voller Verlangen und Sehnsucht.
    Â»Wir hatten Glück«, fuhr er nach einer langen Weile fort. »Am Tag unserer Ankunft in Koulikoro legte die Fähre dort an, die Menschen, Tiere und Waren in die Dörfer entlang dem Niger transportierte. Es gelang uns, zwei Passagen zu ergattern. Das Schiff hatte einen zweistöckigen Aufbau und war restlos überfüllt …«
    Â»Es war ein unglaubliches Gewimmel von bunt gekleideten Menschen, Ziegen, Schweinen, Hühnern«, fiel ihre Mutter ein. »Es wurde gekocht und gesungen, es roch nach Gewürzen, deren Namen wir nicht kannten, geschweige denn, dass wir sie je zuvor geschmeckt hätten …«
    Â»â€¦ eine Kabine hatten wir uns nicht leisten können, wir mussten oben auf dem Dach des Aufbaus unter freiem Himmel schlafen«, übernahm ihr Vater die Geschichte. »Direkt neben einer fetten, trächtigen Sau, die einem alten Mann gehörte, der das Schwein kraulte und ständig vor sich hin kicherte …«
    Â»â€¦ und dabei seinen einzigen Zahn zeigte«, lachte ihre Mutter aufgeregt. »Den hatte er sich vergolden lassen …«
    Â»â€¦ ach, welch ein Abenteuer war das Ganze doch!«, sagte ihr Vater. »Welche Geschichten wir dort gehört haben!« Er hatte geseufzt, dabei sehnsüchtig hinaus in den norddeutschen Nieselregen geschaut, und die blauen Augen ihrer Mutter hatten verräterisch geglänzt.

    Der Tonfall ihrer Mutter war hell und klingend, der ruhige, dunkle ihres Vaters umfloss sie wie warmer Honig. Er begann einen Satz, sie vollendete ihn. Im Duett erzählten sie mit funkelnden Blicken und Lachen in der Stimme von der Zeit vor Anitas Geburt, ließen sie die trockene Glut der Sahara spüren, die überraschend kalten

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