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Jenseits von Timbuktu

Jenseits von Timbuktu

Titel: Jenseits von Timbuktu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gercke Stefanie
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Verkauf der Filmrechte nur träumen.« Dann hatte er sie mit einem bohrenden Blick bedacht. »Wie weit sind Sie mit dem zweiten?«, hatte er hinzugesetzt.
    Unbehaglich drehte sie den Verschluss ihrer Wasserflasche auf und nahm einen lauwarmen, scheußlich schmeckenden Schluck. Ihr Agent hatte die Fortsetzung ihres Romans Timbuktu gemeint. Die Fortsetzung, für die sie bereits einen Vertrag unterzeichnet hatte. Für die sie bereits einen Vorschuss bekommen hatte, einen, der doppelt so hoch war wie für ihren Erstling. Das Geld war auch schon auf ihr Konto überwiesen worden, und sie müsste es zurückzahlen, sollte sie es nicht schaffen, das zweite Buch zu schreiben. Es war aber bereits so gut wie vollständig für die Abzahlung des Restkaufpreises ihrer Wohnung und die Reise nach Südafrika draufgegangen. Einen
Vorschuss, für den sie bisher nicht mehr als drei Seiten vorweisen konnte.
    Seitdem geriet sie in einen schrecklichen Zustand der Lähmung, wenn sie nur daran dachte, und wann immer sie sich an ihren Schreibtisch setzte, war da nichts weiter als eine summende Leere. Keine Bilder. Keine Worte. Absolut keine Idee, wie die Geschichte weitergehen sollte.
    Wie denn, bäumte sie sich auf, wie denn, wenn sie bei ihren Eltern und zum Schluss bei ihrer Mutter immer wieder gegen diese Mauer des Schweigens gerannt war? Wie denn, wenn es jetzt niemand mehr gab, der die Antworten wusste? Wie denn, wenn sie jedes Mal innerlich versteinerte, wenn sie den Namen Cordelia Mbali Carvalho vor sich sah? Tief im Inneren war sie sich darüber im Klaren, dass dieser Name das schreckliche Gefühl auslöste, das sie im Endeffekt dazu getrieben hatte, diese Reise anzutreten. Das elementare Gefühl, als hinge sie über einem schwarzen Abgrund. Oder stünde im Orkan auf einer turmhohen Klippe, das bodenlose Nichts vor sich. Es waren viele Bilder, die ihr dabei vor Augen standen. Alle hatten mit der Angst zu tun, für immer allein zu bleiben.
    Diese Frau war ihre Schwester, ihre Familie. Es konnte nicht anders sein, daran hatte sie keine Zweifel. Um jenem bodenlosen Nichts zu entgehen, musste sie sich auf die Suche nach ihr machen, musste sie Cordelia finden. Aber das konnte sie nur, wenn sie die Antworten fand, die ihr die Eltern verweigert hatten. Sie musste sich auf die Spur jener verborgenen Jahre zwischen der Ankunft von Anna-Dora und Rafael Carvalho in Südafrika und ihrer überstürzten Abreise fast zwanzig Jahre später begeben. Sie musste das Geheimnis lösen, das in Zululand begraben lag. Es war die einzige Möglichkeit, die ihr verblieb.
    Die Luft flimmerte über dem kargen Boden, Anitas Zunge klebte am Gaumen. Ihre Wasserflasche war leer, aber sie hatte keine Lust aufzustehen, um sich Nachschub zu holen. Sie nahm den
Strohhut ab und wischte sich übers Gesicht. Die Sonne brannte und stach auf ihrer Haut wie tausend Nadeln. Vermutlich hatte sie bereits Blasen gezogen. Mit den Fingerspitzen betastete sie ihre Schultern und spürte tatsächlich winzige Bläschen. Sie drückte ihren Strohhut wieder tief ins Gesicht und rückte dem Schatten des großen Schirms nach, der von ihr unbemerkt längst weitergewandert war.
    Die Geschichte Timbuktu hatte sich fast von selbst geschrieben. Die Erzählungen ihrer Eltern und der Reisebericht ihrer Mutter waren das Gerüst gewesen. Daran hatte sie entlangschreiben können. Sie musste nur dem Weg ihrer Eltern folgen, die aus dem zerbombten, grauen Deutschland quer durch Afrika bis hinunter zu den fruchtbaren, grünen Hügeln Zululands gezogen waren.
    So lange sie zurückdenken konnte, waren Timbuktu das Zauberwort im Leben ihrer Eltern und die Berichte von ihren Abenteuern die Märchen ihrer Kindheit gewesen. Andere Eltern lasen ihren Kindern Pippi Langstrumpf vor und schenkten ihren Töchtern Barbiepuppen mit rosa Prinzessinnenkleidern und funkelnden Diademen im gelben Kunststoffhaar. Sie bekam eine kleine Stoffgiraffe und die Geschichten einer geheimnisvollen Stadt im endlosen Wüstenmeer namens Timbuktu und dem Sternenglitzern über Afrika. Sie schielte neidisch auf die Barbiepuppen, aber die Geschichten waren schön, man konnte dabei träumen, und wenn sie abends einschlief, glitt sie hinüber in eine aufregende, fremde Welt.
    Wie auf den Wellen eines warmen Meers driftete sie auch jetzt zurück in diese glückliche Zeit. Die Filmkulissen zerflossen vor ihren Augen, die Stimmen um sie

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