Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jenseits von Timbuktu

Jenseits von Timbuktu

Titel: Jenseits von Timbuktu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gercke Stefanie
Vom Netzwerk:
heute war sie selbst noch nie in Afrika gewesen. Gründe, die sie nicht genau benennen konnte, hatten sie davon abgehalten. Afrika war der Traum ihrer Eltern gewesen, nicht ihrer. Zululand war für sie nur ein Wort. Die Bilder dahinter, die die Eltern mit ihren Beschreibungen gemalt hatten, von sanften Hügeln, die sich bis zum Horizont erstreckten, von unirdisch schönen Sonnenaufgängen, bei denen man an die Schöpfung Gottes glaubte, von üppiger Vegetation und einer Luft, die so klar und süß war, dass man davon betrunken werden konnte, waren nach dem Tod ihres Vaters rasch verblasst, bis nur noch das Wort geblieben war. Bis jetzt. Nach dem, was geschehen war, würde sie dorthin fahren müssen, sonst würde sie nie ihre innere Ruhe wiederfinden.
    Und vielleicht bin ich dann nicht mehr allein, fuhr es ihr unvermittelt durch den Kopf. Cordelia Mbali Carvalho! Ihre Schwester? Ihr Herz begann zu klopfen. Sie ließ sich von ihren Wünschen mitreißen.
    Aber der Geier gackerte vernehmlich. Aus ihrem Traum gerissen, schaute sie hinüber zu dem riesigen Vogel mit dem hässlichen, kahlen Hals, der noch immer lärmend und flügelschlagend an der Kette zerrte, die ihn auf dem Holzschild festhielt.
    Auf eine Handbewegung von Flavio Schröder hin lief sein Besitzer zu ihm und bot ihm auf seiner lederbehandschuhten Hand ein Stück Fleisch an. Der Geier schnappte zu und schlang das Fleisch hinunter. Zufrieden flappte er mit den Flügeln und erleichterte sich anschließend ausgiebig. Direkt auf den Kopf des
Schauspielers, der den Bettler mimte. Der schrie empört auf, der Geier zischte giftig, die Statisten kicherten, Anita lächelte.
    Flavio Schröder stemmte sich in seinem Hochsitz halb hoch. »Noch einmal, und ich lass das Vieh ausstopfen!«, brüllte er, wobei sein Gesicht beeindruckend rot anlief. »Kann es jetzt endlich weitergehen?« Als der Vogelhalter nickte und zurücktrat, gab er das Zeichen. »Fertig«, bellte er.
    Im Hintergrund schlug die Plane eines Zelts, das mit vier oder fünf identischen Zelten eine kleine Stadt bildete. Dort aßen sie mittags, die Maskenbildner gingen dort ihrem Geschäft nach, und die Schauspieler, denen kein Wohnwagen zur Verfügung stand, ruhten sich in den Drehpausen dort aus.
    Â»Die Zeltplane!«, knurrte der Regisseur mit gefletschten Zähnen und wirkte, als könnte er jeden Augenblick einen Mord begehen.
    Die Regieassistentin spurtete los. Kurz danach herrschte Ruhe.
    Â»Fertig«, sagte Flavio Schröder in drohendem Ton.
    Â»Ton ab!«, kommandierte sein Assistent.
    Â»Ton läuft«, bestätigte der Tonmeister und schob seine Baseballkappe tiefer in die Stirn. Ihm lief der Schweiß in Strömen in den Hemdkragen.
    Der Regieassistent hob lässig die Hand. »Kamera ab!«
    Â»Kamera läuft.«
    Â»Timbuktu, drei-acht, die neunte«, rief ein junger Mann und schlug die Klappe mit trockenem Knall zusammen.
    Â»Action!«
    Die Tür am anderen Ende des Marktes flog auf.
    Â 
    Anita beobachtete die Szene mit wachsendem Verdruss. Sie war restlos frustriert. In ihrem Buch kam keine Geiselhaft vor. Das könnte sie vielleicht noch verschmerzen, aber das Schlimmste war, dass Marina Muro ihrer Meinung nach überhaupt nicht für die Rolle ihrer Mutter passte. Diese Ansicht hatte sie von Anfang
an deutlich gemacht, hatte sich gegen diese Besetzung gewehrt und immer wieder darauf hingewiesen, dass die Hauptfigur aus Norddeutschland stamme, blond, sportlich und eher zurückhaltend sei, nicht dunkel und kurvenreich mit glühend schwarzen Augen wie der weibliche Vulkan Marina Muro.
    Â»Sie ist die Quotenqueen, daher ihr Spitzname Money Muro«, war die lapidare Antwort des Produzenten gewesen, dem sie ihre Einwände mitgeteilt hatte. »Blond und zurückhaltend macht nicht an.«
    Dagegen hatte sie nichts ausrichten können. Sie war nur die Autorin, für ein paar Tage am Set geduldet, aber mehr auch nicht. Von ihr wurde erwartet, dass sie sich im Hintergrund hielt, nicht einmischte und den Profis das Feld überließ. Und möglichst schnell wieder abreiste.
    Â»Geld regiert die Welt«, hatte ihr Agent bemerkt, der wie ein Haifisch im Literaturbetrieb herumschwamm und sich die besten Happen schnappte. »Ihr Name ist noch fast unbekannt. Seien Sie froh, dass es schon mit Ihrem ersten Buch geklappt hat. Andere kassieren Dutzende von Ablehnungen und können vom

Weitere Kostenlose Bücher