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Jenseits von Timbuktu

Jenseits von Timbuktu

Titel: Jenseits von Timbuktu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gercke Stefanie
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Nächte, ließen sie den fauligen Geruch von Sümpfen riechen und die Süße der Frangipaniblüten an der Küste. Sie hörte Namen wie Bamako, Ouagadougou und Bobo-Diolassou, atmete den Staub von Djenné, der Inselstadt im Nigerdelta, wo im April alle Bewohner den Putz der weltberühmten, ausschließlich aus Lehm gebauten Moschee, der in jeder Regenzeit weggespült wurde, gemeinsam neu aufbrachten. Dann trugen Jugendliche mit Lehm gefüllte geflochtene Körbe auf dem Kopf zur Moschee, Eselskarren, hochgetürmt mit Lehm, rasten durch die engen Gassen. Es war ein Geschrei und Gelächter und Gewieher gewesen, berichtete ihr Vater, und eine Unmenge der roten Erde wurde aufgewirbelt, dass am Schluss die Menschen wie wandelnde, rotbraune Statuen herumliefen. Anita war dabei, in der Hitze und mitten im Gelächter, und nachts schwebte sie in ihren Träumen unter dem glitzernden Sternenzelt Afrikas.
    Natürlich gab es auch Geschichten über Entbehrung und Hunger und davon, dass zwei verbeulte Töpfe, eine Packung Streichhölzer und eine Dose mit Salz für ihre Eltern zeitweilig der größte Schatz gewesen waren.
    Â»Mama konnte eine außerordentlich schmackhafte Suppe aus Raupen kochen«, erzählte ihr Vater und lachte, wenn sie angeekelt das Gesicht verzog.
    In Abidjan konnten ihre Eltern erneut auf einem Frachter anheuern. Der brachte sie bis nach Kapstadt. Von dort schlugen sie sich nach Natal durch, wo ihr Vater Arbeit auf einer Farm bekam. Das Schicksal wollte es, dass kurz nach ihrer Ankunft die Farmersfrau Wehen bekam. Es war ihr drittes Kind, und bisher hatte es bei der kräftigen Frau nie Komplikationen gegeben, wie
ihr Mann berichtete, aber dieses Mal ging nichts glatt. Das Kind lag verkehrt herum. Drei Tage quälte sich die Farmersfrau, schrie abwechselnd vor Schmerzen und Angst und verfiel dazwischen in apathische Erschöpfung. Der Ehemann war so verzweifelt, dass er erwog, eine Zulu-Medizinfrau zu rufen. Anitas Vater bekam mit, wie er das mit einem Nachbarn besprach, und bat darauf schüchtern, die Frau untersuchen zu dürfen. Erst wehrte der Farmer ab, aber als er begriff, dass sein Stallbursche Mediziner war, zumindest fast, stimmte er zu. Es gelang Anitas Vater, das Ungeborene zu drehen. Mutter und Kind überlebten.
    Â»Dein Vater war wunderbar«, schwärmte ihre Mutter mit leuchtenden Augen. »Und der Farmer überschrieb ihm aus Dankbarkeit drei Hektar Land. Wir bauten ein winziges Haus darauf und nannten es Timbuktu .«
    Das war die einzige Geschichte, die sie von der Zeit in Zululand erfuhr. Ihren Fragen, wie das Leben auf der Farm gewesen sei, warum sie nicht dortgeblieben seien, wenn sie es doch so geliebt hätten, wichen sie auf so geschickte Weise aus, dass sie es lange Zeit nicht merkte.
    1985 starb ihr Vater. Ganz banal an einer verschleppten Grippe. Danach erlosch das Leuchten in den Augen ihrer Mutter für immer, und danach sprach sie auch nie mehr über Afrika. Es gab keine angefangenen Sätze mehr, die sie hätte vollenden können.
    Aus dem Duett war ein Solo geworden.
    Anitas Fragen prallten an ihrer Mutter ab wie an Beton. Aber sie war erst dreizehn, ihr Leben ging weiter, und mit den Jahren verlor auch das Zauberwort Timbuktu seinen Glanz, die Erinnerung an die honigwarme Stimme ihres Vaters wurde schwächer. Afrika versank im Dunst der Ferne, und bald dachte sie nur noch an diesen Kontinent, wenn etwas darüber in den Nachrichten erschien.
    Sie beendete die Schule mit einem Einser-Abitur, studierte Biologie und bekam einen sehr guten Vertrag bei einem Kosmetik-Forschungslabor,
zu dessen Leiterin sie erst kürzlich aufgestiegen war. Kurz danach lernte sie Frank Börnsen, einen begabten Informatiker mit einer Passion für mittelalterliche Kunst, ganz zufällig auf einer Kunst-Messe kennen und verliebte sich unsterblich.
    Ihr Himmel hing voller Geigen, ihre Zukunft war strahlend, und selbst ihre Mutter, die Frank in ihr Herz geschlossen hatte und die von Enkelkindern träumte, gewann neue Lebensfreude.
    Bis zu jenem heißen Julitag 2008.
    Der Tag, an dem sie nicht nur ihre Vergangenheit, sondern auch ihre Zukunft verlor. Der Tag, an dem ihr Leben in freien Fall geriet.
    Â 
    Anita erstarrte. Der Gedankenfluss war sachte über sie hinweggerauscht, und sie hatte gar nicht wahrgenommen, dass sie sich dieser gefährlichen Klippe näherte. Es half ihr nicht, dass sie sich jetzt mit aller

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