Jenseits von Timbuktu
Aber
bisher hatte sie hinter der flamboyanten Front die wirkliche Marina Muro noch nicht erkennen können.
»Seien Sie froh, dass wir nicht in der Sahara drehen, wo meine Eltern wirklich gewesen sind. Da ist das Klima noch extremer. Noch viel heiÃer und so trocken, dass die Haut sich zusammenzieht, wie meine Mutter in ihrem Reisebericht erzählt.«
»Klingt wie ein Instant-Gesichtslifting. Nichts wie hin.« Marina Muro kicherte fröhlich.
»Na, ich weià nicht. Da wachsen die Falten bestimmt im Stundentakt.«
»Da habe ich ja noch Glück gehabt.« Marina Muro tätschelte sich die makellose Wange. »Flavio war ja ganz versessen darauf, in der Sahara zu drehen, aber die Krise hat zugeschlagen, die Produktion hatte nicht genügend Geld, sagen die jedenfalls  â sagen die eigentlich immer.« Sie verdrehte die Augen. »Und so wurde entschieden, dass es hier preisgünstiger sei. Deswegen hat Flavio auch so grauenhaft schlechte Laune. Immer wenn er am Abend vom Set wegrennt, muss er erst seine Frustration loswerden. Aber der Hüpfer vorhin zeigt, dass er zumindest mit der Qualität des heutigen Drehs einverstanden war. Dem Himmel sei Dank! Er kann wüten wie ein Berserker, wenn ihm etwas nicht passt.«
Anita beobachtete den Regisseur, der jetzt wieder zum Set zurückkehrte. Er war schlank, nicht viel über eins achtzig groÃ, und sein Alter schätzte sie auf Mitte fünfzig. Das tief gebräunte Gesicht unter weiÃem Haar zeigte deutlich die Spuren eines intensiv gelebten Lebens. Aber gerade das empfand sie als ansprechend, sogar anziehend. Dass er vollkommen ausrasten konnte, konnte sie einfach nicht glauben.
»Einen Berserker stelle ich mir wirklich anders vor. Er wirkt ⦠nett.«
Marina Muro lachte ihr kehliges Lachen, das angeblich alle Männer verrückt machte, warf ihr dabei aber einen sehr direkten
Blick zu. »Oh, oh, meine Liebe. Verbrennen Sie sich nicht die Finger! Sie wären beileibe nicht die Erste, und auch nicht die Zweite, Dritte oder Vierte. Er wütet unter den Frauen wie ein Haifisch, glauben Sie mir. Gehen Sie ihm aus dem Weg.«
Ihr Lachen wurde zu einem Schnurren. Sie vollführte einen sinnlichen Hüftschwung, winkte ihr anzüglich zu und lachte noch in sich hinein, als sie ihrem Wohnwagen zustrebte. Ihr persönlicher Bodyguard folgte ihr wie ein Schatten, öffnete ihr die Tür des Wohnwagens und baute sich anschlieÃend mit verschränkten Armen davor auf, bemüht, wie ein grimmiger Zerberus zu wirken, was ihm bei seinem schokoladenbraunen, rundlichen Gesicht aber nicht so recht gelang.
Anita sah der Schauspielerin nach. Obwohl sie ein ganz angenehmes Wesen zu haben schien, fühlte sie sich in ihrem Urteil bestätigt. Marina Muro passte nicht für die Rolle ihrer Mutter. Ganz und gar nicht. Der Hüftschwung war einfach zu sexy für die kühle Norddeutsche, die sie in ihrem Buch beschrieben hatte. Und zwischen ihr und Flavio Schröder war etwas, dessen war sie sich sicher. Oder es war etwas gewesen, und der Regisseur hatte sie mit einer anderen ersetzt? Das würde ihre Boshaftigkeit erklären.
Um sie herum begannen die Aufräumarbeiten. Die Mannschaft der Servicefirma, die alle Gerätschaften und auch die Sicherheitsleute gestellt hatte, schwärmte wie geschäftige Ameisen über den Set und begann schnell und routiniert alle Kulissen und Gerätschaften abzubauen und einzupacken. Ein Mann  â das Oberteil seines Overalls bis zu den Hüften heruntergezogen, die dunkle Haut vor Schweià glänzend  â wickelte mit kräftigen Bewegungen die Kabel auf. Seine Kollegen montierten die Schienen ab, die für die Kamerafahrt über den nachgebauten Marktplatz von Timbuktu gelegt worden waren, andere verwandelten die kleine Zeltstadt in einen Haufen Stangen und zusammengelegte Planen, die sie auf einen der Transporter luden.
Seit Südafrika zu einem der Lieblingsdrehorte von Filmemachern in der ganzen Welt avanciert war, hatte dieser Industriezweig Hochkonjunktur. Es gab Dutzende Produktionsfirmen, die alles anboten, was man für Filmaufnahmen brauchte. Von Werbe- und Modeaufnahmen angefangen bis zu Spielfilmen in voller Länge.
Allein an den beiden Tagen, die Anita in Kapstadt verbracht hatte, waren an den Stränden mehrere Modestrecken fotografiert und Szenen für mindestens drei Filme gedreht worden. Je nach Drehbuch
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