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Jenseits von Timbuktu

Jenseits von Timbuktu

Titel: Jenseits von Timbuktu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gercke Stefanie
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bin hier!«
    Der Löwe röhrte aufgebracht über diese neue Störung, und sie schien ihn nicht zu hören, obwohl sie höchstens zwölf Meter von ihm entfernt war. Nur zwölf Meter! Zwölf lange Schritte, und doch so weit, als befände sie sich auf einem anderen Stern.
    Â»Anita, Liebling!«, rief er noch einmal, aber wieder ohne Erfolg.
    Sie hielt Maurice an seinem Hemd gepackt und schüttelte ihn. »Warum?«, schrie sie den Sohn ihrer Schwester an. »Sag mir das! Warum?«
    Maurice’ bernsteingelbe Augen flackerten und glitten zur Seite. Hass verzerrte sein Gesicht. Er drehte Anita den Rücken zu, griff mit beiden Händen in das Gitter des Sicherheitstors und fixierte den laut stöhnenden Len Pienaar.
    Â»Schnauze«, brüllte er, aber der Verletzte heulte nur umso lauter, ganz so, als ob er Maurice herausfordern wollte. »Halt bloß dein blödes Maul«, röhrte er und trat gegen das Tor, dass es schepperte. »Dich krieg ich, wirst schon sehen, du Schwein!«
    Schwer atmend wandte er sich wieder Anita zu und sah sie an. Sein Gesicht und sein Hals waren schweißüberströmt. Nach
einem langen, schweigenden Augenblick senkte er den Kopf. »Okay. Du hast weiß Gott ein Recht auf eine Erklärung …« Er zögerte.
    Dirk wagte es nicht, einen Laut von sich zu geben, um keine übereilte Reaktion bei dem schwer bewaffneten Maurice hervorzurufen. Er konnte dessen Zustand nicht einschätzen, wusste nicht, wie viel genügen würde, ihn in den seelischen Abgrund zu treiben. Wie er sich verhalten würde. Ob er ins völlig Irrationale abrutschen würde oder ihm noch ein Rest von Vernunft geblieben war. Also verhielt er sich absolut ruhig, während er gleichzeitig verzweifelt nach einer Möglichkeit Ausschau hielt, auf den Vorplatz zu gelangen.
    Sein Panga, mit dem er vielleicht den Natodraht hätte zerhacken können, lag irgendwo außerhalb des Futterplatzes. Ein anderes Werkzeug stand ihm nicht zur Verfügung. Mit bloßen Händen diesen Zaun zu überwinden, hatte er kaum eine Chance. Er würde Anita nicht helfen können, wenn der Draht ihm die Hände in Fleischsalat verwandelte. Außerdem würde er im Hof bei Pienaar sein, und sie noch immer durch die verschlossene Sicherheitstür von ihm getrennt.
    Unvermittelt begann Maurice zu sprechen. »Es fing alles damit an, dass mich die Seuche erwischt hat …« Anita sah ihn verständnislos an. »Ach, schau doch nicht so«, setzte er hinzu. »Ich bin schwul, falls du das noch nicht gemerkt haben solltest. Nein? Na, nun weißt du ja Bescheid. Dummerweise war ich zu feige, den Test zu machen  – du weißt schon  –, und als ich es dann doch getan habe, war es praktisch zu spät. Ich hatte voll ausgebildetes Aids. Man hat mich mit Medikamenten vollgestopft, und anfänglich ging es auch einigermaßen, aber inzwischen helfen sie immer weniger. Ich kann mir ausrechnen, wann es vorbei sein wird … und auf welche Weise …« Er verstummte. Seine Augen starrten ins Leere.
    Bei den letzten Worten hatte er die Stimme gesenkt, und es
kostete dem heimlichen Zuhörer auf der anderen Seite des Zauns einige Mühe, ihn zu verstehen.
    Anita war kreidebleich geworden. »Das ist schrecklich, und es tut mir furchtbar leid für dich …« Dann schrie sie los. »Aber Herrgott noch mal, Kinder zu entführen, sie zur Prostitution zu zwingen …« Ihre Stimme überschlug sich. »Das ist Menschenhandel! Ist dir das klar?«
    Ihr Geschrei verursachte weitere Unruhe unter den Raubkatzen. Eine weiße Löwin jaulte, das Männchen mit der prachtvollen schwarzen Mähne stieß ein tiefes, raues Husten aus. Anita zuckte heftig zusammen, und Dirk war wie gelähmt vor Angst um sie. Maurice kümmerte sich nicht um die Raubkatzen. Er redete einfach weiter.
    Â»Lass es mich kurz machen. Mir ist wichtig, dass du erfährst, wie es dazu gekommen ist. Schließlich bist du außer Mama meine nächste Familienangehörige. Meine einzige, um genau zu sein.« Er wartete, bis er ihre volle Aufmerksamkeit hatte. »Also, gegen die Schmerzen habe ich immer stärkere Pillen eingeworfen, die sehr teuer waren. Eine Krankenversicherung hatte ich nicht, und mein Geld verschwand wie Wasser den Abfluss hinunter. Immer schneller, und ich geriet in Panik. Dagegen nahm ich noch stärkere

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