Jenseits von Uedem
gebacken, mit Apfelmus.«
»Haben Sie dasselbe gegessen?« fragte Astrid.
»Ja, sicher.«
»Was hat Ihr Sohn heute gemacht?«
»Heute morgen war er die ganze Zeit im Büro, und nach dem Essen ist er weggefahren. Ich weiß nicht, wohin. Um zehn nach vier war er wieder zu Hause. Und dann ist er zu der Herrensitzung. Ich hab' noch gesagt, ich warte. Ich warte immer, bis er nach Hause kommt.«
Dann weinte sie wieder laut.
Astrid griff nach ihrer Hand. »Haben Sie jemanden, der heute nacht bei Ihnen bleiben kann?«
Herta te Laak schüttelte lange den Kopf. »Ich habe keinen Menschen mehr.«
»Eine Nachbarin vielleicht?«
Sie zuckte die Schultern. »Vielleicht Frau Gerdes nebenan .«
Astrid verschwand wortlos.
Toppe sah sich in der neonbeleuchteten Küche um. Die Möbel waren alt und paßten nicht zusammen, aber alles war pieksauber. Auf der Eckbank lag, ordentlich gefaltet, eine orangefarbene Synthetikdecke, auf dem Resopaltisch eine angefangene Patience. An den Wänden hingen zahllose Katzenpostkarten in Wechselrahmen und verblichene Trockengestecke, ein Kalender von der Volksbank, zwei auf schwarzem Grund gestickte Hundebabies.
Toppe stand auf, ging zur Spüle, nahm eines der beiden Gläser, die dort umgekehrt auf dem Abtropfgitter standen, und füllte es mit Wasser. Frau te Laak nahm es ihm ab und trank es abwesend in einem Zug leer.
Astrid kam zurück. »Ihre Nachbarin kommt sofort, Frau te Laak.«
»Danke«, sagte die Alte stimmlos.
Toppe legte ihr die Hand auf die Schulter. »Es tut mir leid.«
Dann gingen sie.
3
Das Schrillen des Telefons riß Toppe aus dem Schlaf. Er hatte Mühe, sich zu orientieren. Mit geschlossenen Augen griff er nach rechts, aber da war nichts, und der Apparat klingelte weiter. Er rollte sich von der Matratze auf den Fußboden und nahm das Telefon vom Stuhl.
Es war sein Freund Arend Bonhoeffer, der Pathologe vom Emmericher Krankenhaus, der für die Kripo die gerichtsmedizinischen Untersuchungen machte.
»Morgen, Helmut. Hast du noch geschlafen?«
»Hmpf.«
»Ihr seid wirklich sonnig! Da habt ihr mir ja etwas Nettes beschert, damit ich mich am Wochenende bloß nicht langweile.«
»Na ja, der Notarzt meinte, es könnte sich um eine Vergiftung handeln.«
»Ich fange jetzt gleich mit der Sektion an. Kommst du selbst rüber?«
Toppe zögerte. Bei einer Leichenöffnung mußte immer ein Kripobeamter anwesend sein. Wenn es irgendwie ging, drückte Toppe sich. Der scharfe Geruch, der in den Räumen der Prosektur klebte, löste bei ihm unweigerlich einen Brechreiz aus, und er konnte in dem Leichnam immer nur den toten Menschen sehen, dessen Gesichtsausdruck ihn manchmal noch tagelang verfolgte. Aber heute hatte er keine Wahl.
»Muß ich wohl.«
»In Ordnung. Um halb zehn?«
Toppe sah auf seine Uhr: zwanzig vor neun. »Ja, könnt' ich wohl schaffen. Bis gleich.«
Er schlurfte in die Küche, die immer noch genauso ungemütlich war wie gestern: Der alte Herd von seinen Schwiegereltern, ein kleiner Kühlschrank, den sein Kollege van Appeldorn noch im Keller gehabt hatte, an der Wand ein Ikea-Klapptisch mit zwei roten Plastikstühlen davor. Die Sachen hatte seine Frau vor Jahren ausrangiert und auf den Speicher gestellt, genauso wie den braunen Hängeschrank und das Sammelsurium von Geschirr und Töpfen.
Er schaltete den Boiler ein, der mit der Spüle zur Wohnungseinrichtung gehört hatte, und griff nach dem Glas Pulverkaffee. So langsam mußte er sich mal dran gewöhnen, regelmäßig einzukaufen. Im Kühlschrank waren nur noch zwei Eier und ein Becher Margarine, auf dem Tisch stand eine angebrochene Knäckebrotpackung. Spiegeleier also.
Während er aß, starrte er die kahle Wand an. Es wurde höchste Zeit, etwas zu unternehmen. Geld war keins da; die Miete war zwar niedrig, aber schließlich mußte das Haus ja auch noch abbezahlt werden, und Gabi und die Kinder verbrauchten auch nicht gerade wenig. Als er hier eingezogen war, hatte er sich ausgemalt, sich in aller Ruhe nach und nach ein paar schöne Möbel zuzulegen; alte Sachen ruhig, die er selbst restaurieren würde. Eins der drei Zimmer sollte Kinderzimmer werden, damit seine beiden Söhne wenigstens zeitweise auch bei ihm wohnen konnten. Einen großen Eßtisch hatte er sich vorgestellt, mit Freunden drumherum, die er bekochen würde.
Er schnaubte. Das Kinderzimmer war leer, er schlief auf einer Matratze, im Wohnzimmer stand außer dem Fernseher nur das rosa Sofa, das Christian nicht mehr in seinem Zimmer hatte haben
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