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Jenseits

Jenseits

Titel: Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meg Cabot
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hatte das getan. Mein Herz. Die zehn Zentimeter lange Kanüle, die sie mir in die Brust gebohrt hatten, hatte zwar mein Herz wieder in Gang gesetzt, aber das bedeutete nicht, dass es nicht immer noch gebrochen war.
    Ich räusperte mich und versuchte es noch einmal, hoffte, er würde nicht sehen, wie meine Knie unter dem Kleid zitterten.
    »Es … es tut mir leid«, sagte ich. »Dass ich geschrien habe, meine ich. Du hast mich erschreckt. Ich war nicht … ich hab nicht … ich bin mit meiner Mom gerade erst hergezogen.« Dann platzte der Rest der Geschichte in einem einzigen Schwall aus mir heraus: »Nach Isla Huesos. Sie will hier noch mal ganz von vorn anfangen, weil … na, du weißt es ja sowieso.« Dann versagte meine Stimme. Ich sprach nicht gerne über das, was in meiner alten Schule in Westport geschehen war. Und was hätte es auch gebracht, es ausgerechnet ihm zu erzählen? Er war dabei gewesen.
    Er starrte mich nur an, und seinem Gesichtsausdruck nach war er nicht gerade glücklich, mich zu sehen. Natürlich hatte ich ihn gerade angeschrien. Nicht unbedingt die Art von Verhalten, mit der man sich bei den Leuten beliebt macht. Vor allem nicht bei Jungs, könnte ich mir vorstellen.
    »Ich kann nichts dafür«, fügte ich hinzu. Mein Herz trommelte so laut, dass ich den Wind kaum noch hören konnte, der in den Palmwedeln über uns raschelte, und auch nicht das Zirpen der Grillen und Zikaden zwischen all den Grabmalen, das sich um uns herum aus den Schatten erhob.
    »Sie will die Vögel retten. Was hätte ich schon dagegen sagen können?« Die Stimme, mit der ich das sagte, klang kein bisschen wie meine eigene, was ebenfalls kein Wunder war. Welches Mädchen könnte sich schon ruhig und gelassen mit einem Typen unterhalten, der aussieht wie er? Er war so unglaublich groß, fast zwei Meter, und damit ungefähr zwei Köpfe größer als ich; seinen Oberarmen und Schultern nach wäre er ohne weiteres als Tight End eines College-Footballteams durchgegangen. Ich hatte mit meinem Dad mittlerweile genügend »schöne Familienmomente« vor dem Fernseher durchlitten, um die für diese Position geeignete Statur auf den ersten Blick zu erkennen. Aber natürlich hätte kein Coach der Welt ihn in sein Team aufgenommen, denn es war ihm schon aus mehreren Kilometern Entfernung anzusehen, dass er kaum die nötige Einstellung mitbringen würde: Schwarze Jeans, hautenges schwarzes T-Shirt, schwarze Springerstiefel und von Narben vollkommen zerfurchte Fingerknöchel – nicht nur die Fingerknöchel, um genau zu sein – machten sofort und unmissverständlich klar, dass mit ihm nicht gut Kirschen essen war. Selbst sein Haar, das ungekämmt in dicken braunen Strähnen über Gesicht und Nacken fiel, schien einem entgegenzuschreien: »Komm mir ja nicht in die Quere!«
    Nur seine Augen, die so grau waren wie die Wolken über uns, hatten stets mit einer Intensität geleuchtet, die ich einfach nicht vergessen konnte. Und glaubt mir, ich hab’s versucht.
    Aber das war jetzt vorbei. Sie waren stumpf und leer, sahen aus wie zwei Einschusslöcher in seinem Schädel. Ja, sie waren irgendwie … tot. Ich fragte mich, was diese krasse Veränderung verursacht hatte. Meine Schuld war es ganz sicher nicht. Ich gehörte nicht zu dieser Art von Mädchen.
    Aber seine Stimme war nicht tot, sie troff nur so vor Sarkasmus.
    »Ich meinte«, sagte er, »was du hier machst, jetzt, nachts. Auf dem Friedhof, nachdem er schon seit Stunden geschlossen hat.«
    Ich musste schlucken. Natürlich wusste er, warum ich auf Isla Huesos war. Er schien immer zu wissen, wo ich gerade war und was ich tat. Wahrscheinlich hatte er sogar mein Flugzeug bei der Landung beobachtet, hatte gesehen, wie ich mein Gepäck vom Laufband zerrte und Mom mir dabei half, es in den Kofferraum unseres Autos zu wuchten. Hatte er tatsächlich tatenlos zugeschaut, wie wir uns abmühten, die Koffer und Taschen in den Hybrid- SUV zu kriegen? Wie nett von ihm.
    Ich konnte die Wogen des Zorns förmlich spüren, die von ihm ausgingen. Ich wusste, dass ich ihm sehr wehgetan hatte, aber zu meiner Verteidigung muss ich noch hinzufügen: Er hat mir zuerst wehgetan. Freiheitsberaubung ist ein schweres Verbrechen, das habe ich nachgelesen. In Anbetracht der Tatsache jedoch, dass er mir seitdem zweimal das Leben gerettet hat oder zumindest glaubte, genau das zu tun, hatte ich gedacht, er hätte mir verziehen. Doch seine Augen ließen nicht das geringste bisschen Wärme erkennen, ganz zu schweigen von

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